Buchanan, James M.

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Von Prof. Dr. Michael Wohlgemuth

James McGill Buchanan (1919-2013) zählt neben Friedrich A. von Hayek zu den bedeutendsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts, die nicht nur in ihrem Fach einen Nobelpreis erhielten, sondern weit darüber hinaus wesentliche Beiträge zum klassischen Liberalismus geliefert haben. Buchanan war Mitbegründer der ökonomischen Theorie der Politik und Erneuerer klassisch liberaler Verfassungstheorien („Constitutional Economics“).

Biographie

Buchanan wurde 1919 in Tennessee geboren, wo er auch studierte. Vor allem unter dem Einfluss von Frank Knight wurde Buchanan während seines Studiums an der University of Chicago zu einem überzeugten Anhänger marktwirtschaftlicher Ordnungsideen. Nach seiner Promotion im Jahr 1948 entdeckte Buchanan die in den USA bis dahin unbeachteten „Finanztheoretischen Untersuchungen“ des Schwedischen Finanzwissenschaftlers Knut Wicksell. Hier fand Buchanan zwei Ideen, die sein Forschungsprogramm prägen sollten: Die Irrelevanz der Vorstellung eines wohlwollenden Diktators als Adressat politischer Ratschläge und die Relevanz der Zustimmung der Betroffenen als Richtmaß für Effizienz und Gerechtigkeit staatlichen Handelns. Die erste Idee vertiefte Buchanan als ökonomische Theorie der Politik (Public Choice); die zweite entwickelte er zu einer ökonomischen Kontrakttheorie der Staatsverfassung (Constitutional Economics). Buchanans akademische Karriere begann mit Professuren an der University of Tennessee (1948-1951) und der Florida State University (1951-1956). Danach hielt Buchanan Lehrstühle an verschiedenen staatlichen Universitäten in Virginia. Von 1983 bis wenige Jahre vor seinem Tod arbeitete er an der George Mason University in Fairfax. 1986 erhielt Buchanan den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften.

Buchanan als Begründer der Public Choice Theorie

Den Nobelpreis verdankt Buchanan seinen Beiträgen zur Begründung einer ökonomischen Theorie der Politik (Public-Choice-Theorie) seit den 50er Jahren, vor allem in einer von ihm beeinflussten Richtung, der „Virginia School of Political Economy“. Buchanan wendet sich entschieden gegen die etablierte wohlfahrtsökonomische Sicht der Wirtschaftspolitik. Diese bewertet reale soziale Zustände anhand theoretischer Fiktionen wie einem „vollkommenen Wettbewerb“ und leitet bei „Versagen“ politischen Handlungsbedarf ab. Politische Akteure werden als wohlwollende allmächtige Akteure unterstellt und nicht als versagensfähige reale Menschen.

Diese Inkonsistenz behebt Buchanan, indem er in der Politik Akteure modelliert, die – im Prinzip nicht anders als der „homo oeconomicus“ – zunächst ihren eigenen Vorteil suchen. Nun gilt es die jeweiligen institutionellen Handlungsrestriktionen und Anreizbedingungen zu betrachten. Buchanan stellt fest, dass die Funktionsbedingungen einer „unsichtbaren Hand“, die mit Hilfe freiwilligen Tausches unter Wettbewerbsbedingungen Eigeninteresse und Gesamtwohl verbindet, in realen politischen Prozessen weitaus ungünstiger sind als in realen Marktprozessen. Er macht damit schon früh zentrale Eigenschaften kollektiven Handelns analytisch greifbar, die heute das Grundinventar der Public-Choice-Analyse bilden. Hierzu gehört etwa die Schwierigkeit, rationale und informierte Wählerpräferenzen zu bilden sowie diese kollektiv äußern und befriedigen zu können.

Radikaler als andere Vertreter der ökonomischen Theorie der Demokratie (etwa die spatial-voting-Modelle im Anschluss an Anthony Downs) streicht Buchanans Virginia Political Economy die vielfältigen Ursachen für Politikversagen heraus. Gleichzeitig geht es ihm weit mehr als der gängigen Public-Choice-Theorie nicht nur um Erklärung, sondern auch um Aufklärung der Politik. Politikversagen ist nicht auf eigennützige Motive, sondern auf ungeeignete Beschränkungen politischen Handelns zurückzuführen. Der Schlüssel zu Veränderungen liegt bei der politischen Verfassung.

Buchanans ökonomische Vertragstheorie der Staatsverfassung

Ähnlich wie John Rawls lehnt Buchanan eine organisch-kollektivistische Theorie des Staates ebenso ab wie eine Konzeption der Politik als Interessenkonflikt. Ihm geht es um die Begründung des Staates und seiner angemessenen Funktionen aus den gemeinsamen Interessen der Bürger heraus. Dem methodologischen Individualismus der Analyse entspricht ein normativer Individualismus, und damit ist freiwillige Zustimmung der Betroffenen das alleinige Legimitationskriterium kollektiven Handelns.

Politik ist vor allem dann konsensfähig und marktanalog als „Tausch“ konzipierbar, wenn es nicht um spezifische Spielzüge, sondern um grundlegende Spielregeln und deren neutrale Durchsetzung geht. Welche prozeduralen Spielregeln der politischen Verfassung Bürger hinter einem Schleier der Unsicherheit wählen würden, zeigen Buchanan und Gordon Tullock in ihrem frühen Klassiker The Calculus of Consent (1962). Die Bestimmung einer optimalen Wahlregel anhand der Kosten der Entscheidungsfindung und der Risiken, einer unterlegenen Minderheit anzugehören, gehört seitdem zum Standardrepertoire bei der Beurteilung von Entscheidungsregeln.

In The Limits of Liberty (1975) wählt Buchanan dagegen einen Hobbes’schen Urzustand zur Erklärung der Staatsentstehung durch freiwilligen Vertrag unter eigeninteressierten Individuen, die sich zunächst durch eine Art „Abrüstungsvertrag“ gegenseitig besserstellen. Dieser Vertrag muss aber wegen individueller Vorteile des einseitigen Vertragsbruchs staatlich erzwungen werden. Neben der Existenz eines solchen Rechtsschutzstaates wird auch ein Leistungsstaat, der öffentliche Güter bereitstellt, kontraktualistisch hergeleitet.

Wie ein mit Zwangsmitteln ausgestatteter Leviathan im Interesse seiner Bürger wiederum gezähmt werden kann, ist das verfassungsökonomische Problem, dem sich Buchanan intensiv widmet. Hierzu zählen etwa seine Arbeiten zu einer anreizkompatiblen Fiskalverfassung (The Power to Tax, 1980, zusammen mit Geoffrey Brennan) oder seine bereits 1965 entwickelte Theorie der Clubs, die zunehmend von der ökonomischen Föderalismustheorie rezipiert wird.

Rezeption

Buchanans Werk fand geteilte Reaktionen. In seiner amerikanischen Heimat gilt er noch heute als Außenseiter, der sich den Hauptströmungen der Ökonomik, der Politikwissenschaften oder der Sozialphilosophie immer wieder entzieht. Dies zeigt sich besonders dann, wenn er, geleitet von einer kontraktualistisch-liberalen Sozialphilosophie, mit Hilfe ökonomischer Modelle politische Prozesse sowohl beschreiben als auch durch konsensuale Regelsetzung ändern möchte. Hierbei werden nicht nur Disziplingrenzen überschritten; es werden auch positiv-erklärende und normativ-fordernde Elemente unorthodox kombiniert. Seine Modernisierung des klassischen Liberalismus ist unter deutschen Ordnungsökonomen (etwa in der Tradition der Freiburger Schule) populärer als die methodisch verwandten Arbeiten von Rawls.

Buchanans Begründungen von Regeln einer Verfassung freier Menschen stehen heute gleichberechtigt neben Hayeks evolutorischen oder Nozicks naturrechtlichen Ansätzen.

Weiterführende Literatur

Buchanan, James M.: The Collected Works of James M. Buchanan in 20 volumes. Davon 10 Bände zum freien Download hier: http://oll.libertyfund.org/titles/buchanan-the-collected-works-of-james-m-buchanan-in-20-vols

Pies, Ingo / Martin Leschke: James M. Buchanans konstitutionelle Ökonomik, Tübingen 1996.

Horn, Karen: Roads to Wisdom. Conversations with Ten Nobel Laureates in Economics, Cheltenham, S. 85-109.

Michael Wohlgemuth

Prof. Dr. Michael Wohlgemuth ist Wissenschaftlicher Leiter der Stiftung für Ordnungspolitik und Staatsrecht. Er hat in Freiburg Volkswirtschaftslehre studiert und in Jena promoviert. Von 2002 bis 2012 war er geschäftsführender Forschungsreferent des Walter Eucken Instituts und von 2012 bis 2018 Direktor von Open Europe Berlin.