Marktversagen

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Von Kalle Kappner

Marktversagen ist ein Konzept aus der Volkswirtschaftslehre, das zur Analyse und Bewertung von Marktergebnissen dient. Marktversagen tritt auf, wenn die durch den Marktprozess vorhergebrachte Verteilung von Gütern und Dienstleistungen nicht Pareto-effizient ist, d.h. wenn mindestens ein Marktteilnehmer bessergestellt werden kann, ohne dass dabei ein anderer Marktteilnehmer schlechtergestellt wird. Normativ lassen sich aus dem Befund des Marktversagens unter Umständen Argumente für die Regulierung von Märkten ableiten.

Die moderne Definition des Marktversagens geht auf die neoklassische Ökonomik der Nachkriegszeit zurück und ist seitdem grundlegender Bestandteil der Wohlfahrtsökonomik. In der öffentlichen Diskussion wird der Begriff häufig mit abweichender Konnotation und zur Beschreibung von Situationen verwendet, die kein eigentliches Marktversagen im Sinne der neoklassischen Definition darstellen.

Zwar hat das Konzept des Marktversagens in der Wohlfahrtsökonomik und in der Wettbewerbspolitik weiterhin analytische Bedeutung. Angesichts der normativen Unschärfe und der inkohärenten Verwendung des Begriffs für eine allgemeine Kritik marktwirtschaftlicher Organisation ist dessen darüberhinausgehender Nutzen jedoch zweifelhaft. Ein aus liberaler Sicht attraktives Alternativparadigma ist das Konzept des Koordinationsversagen, das die politische Verflechtung und die dynamische Effizienz realexistierender Märkte betont.

Marktversagen als analytisches Instrument

Der erste Hauptsatz der Wohlfahrtsökonomik besagt, dass Märkte unter bestimmten Bedingungen Pareto-effiziente Allokationen hervorbringen – eine Formalisierung des Effizienzgedankens, der bereits Adam Smiths „unsichtbarer Hand“ zugrunde liegt: Obwohl weder durch die Marktteilnehmer intendiert, noch durch einen Planer gesteuert, werden Güter und Dienstleistungen optimal entsprechend der Kundenwünsche produziert, zu ihren Grenzkosten verkauft und alle Wirtschaftsteilnehmer entsprechend ihres Beitrags entlohnt.

Die Bedingungen für allokative Effizienz können allerdings vielfach verletzt werden, was wiederum Marktversagen zur Folge haben kann. Zu den typischen Ursachen gehören Nicht-Ausschließbarkeit und Nicht-Rivalität im Konsum von sogenannten öffentlichen Gütern, Informationsasymmetrien zwischen Marktteilnehmern, Externalitäten, und durch imperfekten Wettbewerb und Monopole geprägte Marktstrukturen. Die neoklassische Ökonomik analysiert, wie sich Marktversagen auf die Wohlfahrt der Marktteilnehmer auswirkt und wie politische Eingriffe das Marktergebnis in Hinblick auf allokative Effizienz verbessern können.

Andere Denkschulen relativieren das Konzept des Marktversagens. In der Marktprozesstheorie der Österreichischen Schule ist „Versagen“ im Sinne einer Abweichung von einem hypothetischen optimalen Gleichgewichtszustand eine inhärente Eigenschaft funktionierender Märkte. In diesem Paradigma ist allokative Ineffizienz die Triebfeder unternehmerischen Handelns, das wiederum essentiell für das „Gelingen“ des Marktprozesses ist. Viele heterodoxe oder marxistische Ökonomen bewerten das neoklassisch Konzept des Marktversagen als unbrauchbar, da es sich nicht zur Bewertung von Verteilungsaspekten eignet: Auch extrem ungleiche Verteilungen können Pareto-effizient und damit Ausdruck eines „Marktgelingens“ sein, doch der analytische Wert dieses Befunds ist zweifelhaft.

Marktversagen als normativer Befund

Welche normativen Konsequenzen hat Marktversagen? Auf realexistierenden Märkten sind die abstrakten Bedingungen allokativer Effizienz niemals erfüllt, weshalb alle Märkte ständig „versagen“ – so wie alle Basketballspieler ständig „versagen“, da sie den Ball niemals exakt entlang einer optimalen Bahn werfen. Genau wie professionelle Basketballspiele sind viele Märkte jedoch trotz ihrer punktuell stets feststellbaren Unvollkommenheit dynamisch effizient: Die Teilnehmer unterliegen einem starken Anreiz zum Abbau bestehender Ineffizienzen. Die definitionsbedingte Allgegenwärtigkeit von Marktversagen kann daher nicht überzeugend zu einer allgemeinen Rechtfertigung von Regulierungen, Steuern und Subventionen herangezogen werden.

In der Analyse spezieller Märkte ist das Konzept des Marktversagens jedoch normativ fruchtbar. Beispielsweise können bestimmte Märkte aufgrund inhärenter Eigenschaften der auf ihnen gehandelten Güter zur Bildung stabiler Kartelle neigen. Die auf kartellierten Märkten zu erwartenden Preissteigerungen und Produktionseinschränkungen relativ zu einem wettbewerblichen („gelingenden“) Markt können wiederum einen wettbewerbspolitischen Eingriff rechtfertigen.

Umgekehrt lässt sich allerdings nicht jeder politische Eingriff durch Marktversagen rechtfertigen. Beispielsweise handelt es sich bei vielen öffentlich bereit gestellten Gütern im Sinne einer ökonomischen Definition nicht um öffentliche, d.h. durch Nicht-Rivalität und Nicht-Ausschließbarkeit geprägte Güter. Die staatliche Bereitstellung von Fernsehsendungen, Postdienstleistungen oder Transportmöglichkeiten mag verteilungspolitisch wünschenswert sein, lässt sich jedoch nicht mit dem vermeintlich öffentlichen Charakter der jeweiligen Dienstleistung und einem daraus resultierenden Marktversagen rechtfertigen.

Vom Markt- zum Koordinationsversagen

Während das Konzept des Marktversagens weiterhin eine wichtige Rolle in der wohlfahrtsökonomischen Analyse spielt, hat die moderne politische Ökonomik zu einer weiteren Problematisierung des Konzepts geführt. Ökonomen der Public Choice-Schule argumentieren, dass politische Eingriffe in ineffiziente Märkte nicht zwingend wünschenswert sind, da politische Prozesse ebenfalls „versagen“, d.h. stets von demokratietheoretischen Idealen abweichen. Dies führt zum sogenannten Nirvana-Fehlschluss: Aus der Ineffizienz realexistierender Märkte und der theoretischen Möglichkeit einer regulatorisch herbeigeführten Effizienzsteigerung folgt nicht, dass die Eingriffe realexistierender Politiker das Marktversagen tatsächlich beheben.

Institutionenökonomen betonen zudem, dass aus dem Primat der Politik als Regelgestalter folgt, dass viele Fälle vermeintlichen Marktversagens tatsächlich eine Form des Politikversagens darstellen. Zum Beispiel lassen sich die durch CO2-Emissionen bewirkten Umweltexternalitäten als Folge des Fehlens von Märkten (statt deren Versagens) interpretieren – und damit als Folge unzureichender Definition und Durchsetzung von Eigentumsrechten durch die Politik. Auch aus ordnungspolitisch-ethischer Sicht ist das Konzept des Marktversagens problematisch, insofern das definitorisch stets feststellbare Versagen von Märkten zu einer Unterschätzung der Vorteile freiwilliger Interaktion und spontaner Ordnung führt.

Eine fruchtbare Synthese aus den analytisch symmetrischen, aber normativ konträren Konzepten des Markt- und Politikversagen bietet das Paradigma des Koordinationsversagens. Demnach ist ein Versagen gesellschaftlicher Organisation festzustellen, wenn die Koordination zwischen Marktteilnehmern und Politik unter dem Maßstab dynamischer Effizienz misslingt. Wie die Ökonomen Ronald Coase und Elinor Ostrom in ihrer Forschung zeigten, werden kreative Lösungen zur Behebung der allokativen Probleme realexistierender Märkte oft im Zusammenspiel der Marktteilnehmer, zivilgesellschaftlicher Akteure und der Politik gefunden.

Kalle Kappner

Kalle Kappner ist Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität. Er ist Research-Fellow am Institute for Research in Economic and Fiscal Issues.