Hanse

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Von Michael von Prollius

Die Hanse, der mittelalterliche Verbund norddeutscher Fernhandelskaufleute in Mittel- und Nordeuropa, vollbrachte eine beispielgebende Integrationsleistung. Wirtschaftlich entstand ein fein gesponnenes arbeitsteiliges Netz, das Nahrungsmittel, Kleidung, Roh- und Werkstoffe für erhebliche Teile der Bevölkerung verfügbar machte. Weit auseinander liegende Wirtschaftsräume wurden verbunden, vor allem Nord- und Ostseeanrainer.

Die Expansion der Lübecker Rechtsordnung verbesserte die Rahmenbedingungen des privaten und öffentlichen Lebens u.a. durch ein fortschrittlicheres Erbrecht. Die Regularien der Hansekaufleute stellen das erste kodifizierte Handelsrecht in Kontinentaleuropa dar.

Niederdeutsch wurde zur führenden Sprache, die eine Verständigung über ethnisch-kulturelle Grenzen hinaus für geschäftliche, aber auch diplomatische und juristische Zwecke ermöglichte.

Die intensiven Handelskontakte sorgten dafür, dass in der politischen Sphäre ein Primat auf Frieden und die Verbesserung des Lebens statt Krieg gelegt wurde. Das bedeutet indes nicht, dass die Hanse wehrlos oder unpolitisch war.

Mit der Osterweiterung der Hanse ins Baltikum und bis nach Nowgorod, wo ein bedeutendes Kontor entstand, breiteten sich abendländische Kultur, Christentum und Backsteinarchitektur aus. Rotbraune Ziegelbauten prägen noch heute historische Hansestädte wie Lübeck, Danzig, Thorn und Riga. Die Hanse bestand ein halbes Jahrtausend (1150-1669).

Erfolgsfaktor Integration

Zwei Wettbewerbsvorteile zeichneten die Hanse aus: integrierte Logistik-Fernhandelsketten und niedrige Transaktionskosten.

Den sesshaften Kaufleuten gelang es, die östliche und nördliche Peripherie mit dem europäischen Markt zu verbinden. Im 14. Jahrhundert wurde auf Island deutsches Bier und Rheinwein getrunken. Norwegischer Stockfisch, der über das Hansekontor in Bergen weite Teile Europas erreichte, war ein Grundnahrungsmittel. Zuvor, in der Entstehungszeit der Hanse, wurde gesalzener Hering aus Südschweden als proteinreiches Nahrungsmittel bereits zum Handelsschlager. Lübecks Aufstieg ist damit untrennbar verbunden.

Verlässliche, sichere Logistikketten förderten die Arbeitsteilung und Spezialisierung. Die Kaufleute organisierten den Handel hierbei sesshaft von Kontoren aus und nicht mehr als Reisende. In Flandern wurden für die Tuchherstellung Grundstoffe aus Europa bezogen. Anschließend verkauften Händler die Produkte der Textilfabriken in ganz Europa. Um 1340 wurden über 2 Millionen Meter Tuch pro Jahr hergestellt. Im Grunde stellte die Hanse ein modernes, urbanes Netzwerk dar, das viele einzelne, zuvor isolierte Märkte zu einem großen Binnenmarkt verband.

Am Rande sei bemerkt, dass die Nutzung teurer Handelsschiffe durch mehrere Kaufleute zur Kennzeichnung der Waren per Markierung führte. Nach dem Verkauf wurde die in Fässer eingeritzte Marke weggekratzt.

Im Übrigen zog der wirtschaftliche Erfolg ein soziales und kulturelles Engagement nach sich. Das Heilig-Geist-Spital in Lübeck diente beispielsweise der Speisung, ferner dem Beherbergen und Pflegen von Armen bereits im 13. Jahrhundert. Große Kulturleistungen kamen hinzu wie der Bau der Marienkirche, der größten Kirche Deutschlands, die erst im 19. Jahrhundert vom Kölner Dom von der Spitzenposition verdrängt wurde.

Gute und weniger gute Regulierung

Gleichwohl gab es auch im Mittelalter keine freien Märkte mit Wettbewerbsgleichheit. Hansekaufleute waren keine Verfechter einer freien Marktwirtschaft.

Regulierung war einerseits notwendig und sinnvoll. So gab es zahlreiche Vorschriften für den Umschlag von Waren in einer Hafenstadt. Das senkte Kosten und steigerte die Effizienz. Andererseits wurden Zölle erhoben, und es gab eine Kette von Versuchen, Konkurrenten über Zölle und Regulierungen das Leben schwer zu machen; allerdings blieben diese meistens zeitlich befristet. Zudem gab es Bestrebungen zum Abbau von Handelshemmnissen zu beiderseitigem Nutzen.

Im Übrigen führte die Hanse zwar Handelskriege in Form von Embargos und auch wenige Kriege. Stets waren die Ziele indes friedliche, d.h. Sicherung von Handelswegen und Marktzugängen, Durchsetzung von Kompensationen und Fortbestehen von Privilegien, nicht aber Eroberung und Herrschaft.

Überliefert sind zudem detaillierte Vorschriften für soziales Verhalten in Bergen, das deutsche Kaufleute des Hansekontors fernhalten sollte von der einheimischen Bevölkerung (keine Heirat, kein Kneipenbesuch) und von Geschäften mit Konkurrenten aus Holland und England. In der Praxis wurden übrigens die Augen zugedrückt, insbesondere bei unsittlichem Treiben.

1366 segnete der Hansetag die eigene Rechtssprechung unabhängig von norwegischen Gerichten sowie die eigenmächtig erhobene Eintrittsgebühr und Zölle von neuen Hansekaufleuten ab. Dies geschah zu beidseitigem Vorteil: der Anerkennung der Oberhoheit des Hansetags gegen größere Autonomie in Bergen, das als viertes Kontor nach Nowgorod, London und Brügge entstand, aber zulasten Dritter.

Die Regulierung fand ihre natürlichen Grenzen. Eine Art Kammerzwang aller Hanse-Kaufleute in Antwerpen nach 1568 erwies sich als unzeitgemäß. Die Hanse-Privilegien waren nicht mehr attraktiv genug für die inzwischen integrierten Kaufleute, die sich mit der einheimischen Bevölkerung vermischt hatten.

Der Privilegien-Bürokratismus scheiterte überdies an dezentralen Entwicklungen, darunter der Niederlassungsfreiheit für englische Tuchhändler in der Hansestadt Hamburg.

Institutionen sicherten Eigenständigkeit der Städte

Die Hanse kannte keine machtvolle Zentralregierung. Die Hanse kann vielmehr beispielhaft für eine dezentrale Organisation stehen.

Die Beibehaltung des jeweils eigenen Rechts in relativ unabhängigen Städten bildete einen Erfolgsfaktor bei ihrer Entstehung. Dazu gehörte das Recht, selbst zu schlichten. Auf diese Weise blieb eine Rechtsdiversität erhalten.

Ohnehin stellte die Hanse eher eine Institution im Hintergrund dar. Im Alltag waren die Familie, die Zugehörigkeit als Bürger zu einer Stadt und zu einer Kaufmannschaft weitaus wichtiger. Die Hanse diente eher als politische Kraft zur Durchsetzung gemeinsamer politischer Interessen.

Dazu passt, dass die Gemeinde in einer Hansestadt das Sagen hatte. Der Rat war kein obrigkeitliches Organ, sondern stellte eine echte Repräsentanz dar, die tatsächlich den Willen der Gemeinde vertrat. Entsandte Vertreter hatten dementsprechend ein eng begrenztes Mandat und mussten im Fall fehlender Weisungen erst Rücksprache nehmen.

Mangelnde straffe politische Führung verhinderte eine Machtballung. Auch ein Staatsbildungsprozess, für den es ohnehin kaum Grundlagen gab, blieb aus. Ansehen, Prestige und persönliche Autorität waren bedeutsamer als Herrschaft. Zuweilen wird die Hanse als „Haupt ohne Glieder“ und als „handelspolitisches Eventualbündnis“ bezeichnet. Dementsprechend bildete sich nie eine Kaste von Berufspolitikern und Bürokraten heraus, die eigene Ziele verfolgte.

Eine stärkere Zusammenarbeit war durch Krisen bedingt – und auch nur dann erforderlich. So besaß das Bündnis auf einem Höhepunkt seiner wirtschaftlichen und machtpolitischen Entwicklung um 1400 weder eine feste Organisation oder Satzung noch eine gemeinsame Kasse. Die Kooperation beruhte auf Freiwilligkeit und gemeinsamen Interessen. Deren Ende trug zum Niedergang nach 1500 bei.

Machtpolitische Dimensionen der wirtschaftlichen Netzwerke

Die Hanse wird in der Zeit zwischen 1150 und 1600 als heimliche Großmacht Europas angesehen. Das genossenschaftsähnliche Fernhandelsnetz verband insgesamt mehr als 200 Städte zu einem losen Bund, der sich seit 1358 offiziell „deutsche Hanse“ nannte.

Hansen sind Schutzbündnisse von Kaufleuten mehrerer Handelsstädte. Ursprünglich handelte es sich um Fahrtgemeinschaften zum gegenseitigen Schutz, die auch durch Söldner begleitet werden konnten.

Bereits in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstanden wechselseitige Schutzbündnisse mehrerer Ostseestädte, darunter Lübeck, Wismar, Rostock, Visby, Greifswald, Stralsund und Riga. Nicht mehr Fürsten, sondern die Städte selbst schützen ihre Händler.

Die Hanse ist ein Beispiel einer emergenten Entstehung. Kein Gründungsdokument, kein planmäßiger Aufbau, keine gemeinsame Regierung kennzeichnen ihre Geschichte. Eine Ordnung von unten wuchs aufgrund ihres Nutzens für ihre Mitglieder und verging ebenso.

Gleichwohl war die Hanse kein herrschaftsfreier Raum. Vielmehr bestanden verschiedene Herrschaftsformen nebeneinander. Politisch dominierten in den Seestädten die Fernhandelskaufleute. In den Binnenstädten besaßen Handwerker ein größeres Gewicht.

Von Beginn an trugen (Handels-)Privilegien von Fürsten maßgeblich zum Erfolg bei, z.B. zollfreier Handel in den Städten von Herzog Heinrich dem Löwen. Die Hanse versuchte stets diese Privilegien zu behalten und auszuweiten. Zwar handelte es sich um Freihandel, aber zugleich um Sonderbedingungen für die Mitglieder der Hanse, die Konkurrenten nicht gewährt wurden. Die Hanse war insofern kein Vorreiter einer freien Handelswirtschaft für alle.

Mehrfach führte die Hanse Wirtschaftskriege, beginnend bereits Mitte des 14. Jahrhunderts. Um ihre Wettbewerbsvorteile zu bewahren, erpresste die Hanse 1358/59 die Stadt Brügge mit einer Wirtschaftsblockade. Ein Hanse weites Embargo wurde verhängt. Alle Hanse-Kaufleute mussten Brügge verlassen. Boykott-Brechern drohte sogar die Todesstrafe. Ziel des Embargos waren Abgabensenkungen, die die Stadt einnahm, und das Ersetzen erlittener wirtschaftlicher Verluste bei wachsender Handelskonkurrenz. Auch gegen Flandern und England wurden Wirtschaftsblockaden verhängt.

Ultima Ratio war die Kriegsführung, die dementsprechend selten vorkam und tatsächlich allein dem Frieden diente. So besiegte die Hanse 1368 in einem Krieg den dänischen König Waldemar, der den Handel durch die Kontrolle der Meerenge zwischen Dänemark und Norwegen massiv beeinträchtigte. Krieg diente den Kaufleuten gerade nicht machtpolitischer Dominanz oder der Eroberung von Territorien, sondern dazu, den Fernhandel zu sichern, aber auch Entschädigungsansprüche durchzusetzen. Das galt auch für den Sieg über Piraten um 1400, die den Handel in der Ostsee fast vollständig zum Erliegen gebracht hatten.

Die benötigten Kriegsmittel wurden übrigens bei Bedarf finanziert und bereitgestellt. Schiffe, Soldaten, schweres Kriegsgerät wie Belagerungsmaschinen und Verhandlungsführer gehörten dazu. Stehende Streitkräfte gab es nicht. Die Beiträge der Städte waren freiwillig. Der Vorteil aller, die sich beteiligten, wirkte handlungsleitend. Das erschwerte Koalitionsbildungen.

Eigene Piraten wurden im Handelskrieg mit England mit Kaperbriefen ausgestattet, die deren Spielräume insofern strikt einengten, als unbeteiligte Dritte nicht durch Schädigung zu Feinden werden sollten. Besonders berühmt wurde Paul Benecke. Bemerkenswert ist, wie komplex die Konflikte und wie differenziert die Rechtsanwendungen waren. Mehrfach konnte die Hanse einen günstigen Friedensschluss erwirken.

Im innenpolitischen Verhältnis fällt auf: Die Stadträte dienten als bürgernahe Institutionen und höchste politische und gerichtliche Instanz. Erfolg und Ansehen entschieden in Lübeck über Aufstieg in und (politische) Mitwirkung im Handelskollegium, nicht der Stand. Handwerker blieben indes ausgeschlossen. Der Lübecker Rat wurde im Zuge der Verbreitung des lübischen Rechts von anderen Städten freiwillig als Obergericht anerkannt.

Niedergang durch fehlende Anpassungsfähigkeit

Vor allem zwei Entwicklungen verursachten den Niedergang der Hanse, weil diese keine zeitgemäßen Antworten auf die Herausforderungen fand:

  1. Die Wirtschaftsstrukturen in Europa veränderten sich im Zuge einer Internationalisierung (Entdeckung von Südamerika), einer absackenden Nachfrage durch einen drastischen Bevölkerungsrückgang (bedingt durch Pest und Dreißigjährigen Krieg) sowie infolge der gewachsenen Bedeutung des Nord-Südhandels (führend waren die italienischen Stadtstaaten).
  2. Staatliche Verdichtungsprozesse einschließlich Territorialstaatsbildung machten aus schwachen Fürsten zunehmend starke Machtmonopolisten. Nach 1648 waren fast alle norddeutschen Städte Landesfürsten unterworfen. Die Hanse verlor ihre Privilegien, die ohnehin weniger Relevanz besaßen, weil der Fernhandel kleiner und mittlerer Kaufleute zwischen Ost und West an Bedeutung verlor.

Statt sich neu zu erfinden, verkrustete die Hanse. Beharrungsdenken, kleinteilige Interessenverfolgung ohne Rücksicht auf die sich ändernde Handelsorganisation bis zur Regulierungswut gegen ihre nach Selbständigkeit strebenden Kontore erwiesen sich als kontraproduktiv. Die Hanse war nicht mehr attraktiv, geschweige denn notwendig.

Impulse für die Moderne

Die Hanse war ein europäischer, vor allem norddeutscher Verbund von Fernhandelsstädten. Welche Impulse kann die Kaufmannsorganisation für die heutige Zeit liefern?

  1. Die Hanse zeigt, dass dezentrale Selbstorganisation in Netzwerken erfolgreich möglich ist und eine produktive Alternative zur staatlich-hierarchischen Territorialorganisation darstellt. Integrierte europäische Märkte und eine stabile politische Ordnung entstanden durch unternehmerische Initiative.
  2. Die Hanse dokumentiert, dass Unternehmer in der Lage sind, Streitkräfte zu organisieren, Piraten zu besiegen und erfolgreich Kriege zu führen, aber nur als allerletztes Mittel. Frieden war das überragende Ziel und Voraussetzung für die Ausbreitung von Handel und Wohlfahrt.
  3. Rechtswettbewerb, die Verbreitung und Anerkennung erfolgreicher Rechtsordnungen sowie eine auf Ansehen und Leistungsfähigkeit beruhende Erledigung öffentlicher Angelegenheiten – noch dazu wesentlich als Nebentätigkeit – ist eine verfolgenswerte Alternative zu den heutigen Heerscharen verbeamteter Bürokraten und der Top down Vereinheitlichung in Nationalstaaten und supranationalen Unionen.
  4. Die Stadträte und Handelstage waren einerseits exklusive Institutionen, andererseits echte Repräsentationsorgane des tatsächlichen Souveräns, der Gemeinde, anders als dies heute mit der demokratischen Stimmabgabe der Fall ist.
  5. Das Bündnis von Städten erscheint angesichts der heute weit fortgeschrittenen Urbanisierung und seiner antiken Vorläufer besonders interessant, gerade über angestammte Territorien hinweg. Unternehmerischer Sachverstand ist bei der Modernisierung von Städten und der Realisierung von Großprojekten wie dem Berliner Flughafen im Wortsinn notwendig.

Es wäre schön, wenn die jüngsten Initiativen für Privatstädte erfolgreich verlaufen würden – die Hanse zeigt auch hier Wege und Sackgassen.

Michael von Prollius

Dr. Michael von Prollius ist Ökonom. Er hat Betriebswirtschaftslehre und Geschichte in Bayreuth und Berlin studiert und hat an der FU Berlin in Geschichte promoviert.