Syndikalismus

Giuseppe Pellizza Wikimedia Commons (CC0)

Von Max Molden

Neben dem Kapitalismus, dem Sozialismus und dem Interventionismus ist der Syndikalismus bzw. Korporativismus die vierte Möglichkeit, ein Wirtschaftssystem zu organisieren – dabei liegen die Produktionsmittel in den Händen der Arbeiter jedes Unternehmens oder jeder Branche. Ein solches Wirtschaftssystem hat es jedoch nie gegeben; es ist praktisch wohl undurchführbar.

Das syndikalistische Wirtschaftssystem

Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte sich der Syndikalismus ähnlich dem Sozialismus aus der Opposition zum kapitalistischen Wirtschaftssystem: er entstand als Gegenentwurf zum Privateigentum an den Produktionsmitteln. Jedoch wünschte er nicht das Gemeinschaftseigentum an den Produktionsmitteln wie es die Sozialisten verlangten. Der Syndikalismus speiste sich aus der intuitiv einleuchtenden Überzeugung, die Aufgaben des Entrepreneurs und des Managers könnten auch von den im Unternehmen angestellten Arbeitern beziehungsweise der Gewerkschaft übernommen werden. Aus diesem Grunde propagierte der Syndikalismus die Selbstorganisation der Arbeiter. Die Arbeiter sollten das Eigentum an den Produktionsmitteln des Unternehmens, fair aufgeteilt, besitzen. In ihren jeweiligen Unternehmen vereint könnten sie die Geschicke der Firma (über gewählte Vertreter) einfach selbst bestimmen und der (ja überflüssige) „Kapitalist“ würde nicht mehr die Früchte der Arbeit der Arbeiter ernten. Der Syndikalismus hat seinem Wesen entsprechend eine große Nähe zum Anarchismus und kommt häufig in Form des Anarchosyndikalismus daher. Er steht häufig aber auch für das Mittel eines revolutionären General-Streiks zur Erreichung der politischen und gesellschaftlichen Ziele. Dies findet sich zum Beispiel in Georges Sorel, einer bedeutenden Figur des Syndikalismus.

Der Syndikalismus (das französische Wort „syndicalisme“ bedeutet Gewerkschaftsbewegung) als Idee wurzelt in Frankreich (insbesondere in der Confédération générale du travail), von wo aus er große Wirkkraft entwickelte und viele politische Bewegungen beeinflusste. So sind der Gildensozialismus[1], dessen Ursprünge in England liegen und der von dort großen Einfluss in Europa nahm, und der Korporativismus[2], der unter anderem in Mussolinis Italien namensgebend für die gesellschaftliche Organisationsform war, eng verbunden mit der im Syndikalismus inhärenten Idee der Selbstorganisation einzelner Gruppen in einer Gesellschaft. Heute ist der Syndikalismus in anarchistischen Kreisen weiterhin eine beliebte Theorie. Als Anarcho-Syndikalist gilt so zum Beispiel der Linguist Noam Chomsky.

Die Probleme des Syndikalismus

Es gab de facto kein Land, das jemals syndikalistisch organisiert gewesen ist. Zwar wurde (als Beispiel) im faschistischen Italien der Korporativismus, der wesensmäßig dem Syndikalismus gleich ist, ausgerufen, jedoch gab es letztlich eine interventionistische, später vielleicht sozialistische Organisation der Wirtschaft.

Der Syndikalismus versucht, die Probleme zu vermeiden, die mit einer zentralen Lenkung der Wirtschaft durch den Staat, also einen zentralen Planer, einhergehen. Genauso strebt er natürlich eine Verbesserung des kapitalistischen Wirtschaftssystems an. Da es im Syndikalismus Tauschbeziehungen zwischen den verschiedenen Unternehmen[3] gibt, können Preise entstehen; in dem Sinne ist das erste Argument, das gegen den Sozialismus vorgebracht wird, nicht anwendbar: Die Mises’sche Skizzierung der Unmöglichkeit der Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen basiert ja darauf, dass aufgrund des von einem einzigen Planer besessenen Eigentums keine Preise durch Austausch von Produktionsgütern entstehen können. Genauso wenig ist das zweite Argument, das Hayek (später von Michael Polanyi im Konzept „tacit knowledge“ eingefangen) in der sozialistischen Kalkulationsdebatte entwickelte, ein unüberwindbares Problem für den Syndikalismus. Denn es ist anzunehmen, dass die Nutzung der „Kenntnisse der besonderen Umstände von Ort und Zeit“ den Arbeitern, die die Planung des Unternehmens vornehmen, möglich ist (zumindest besser als in einem zentralistisch organisierten System).

Nichtsdestotrotz hat der Syndikalismus große Schwächen und muss mit hoher Wahrscheinlichkeit scheitern. Es muss zuerst angemerkt werden, dass das Kapital, das in Unternehmen verwendet wird, nicht in einem gleichmäßigen Verhältnis zur in Unternehmen vorhandenen Arbeiterzahl steht; es wird daher zu Einkommensungleichheiten kommen. Das grundlegende Problem des Syndikalismus besteht dann im steten Wandel der Ökonomie bzw. der Bedingungen: Präferenzen, technologischer Stand sowie Ressourcen. Aus diesem Grund muss die Struktur der Ökonomie ständig angepasst werden. Das heißt, Ressourcen (im weitesten Sinne) müssen von dem einen Unternehmen zum nächsten oder zu einem neuen Unternehmen verlagert werden.

Diese Struktur wird bei der Einführung des Syndikalismus einfach vom vorherrschenden System übernommen. Es ist jedoch logisch, dass diese Struktur schon bald nicht mehr zweckmäßig ist, denn die Bedingungen verändern sich rapide. Dem Rechnung zu tragen, ist in einer Marktwirtschaft die Aufgabe des Entrepreneurs, der auf Profit und Verlust reagierend die notwendigen Anpassungen des Marktes (z.B. die Gründung einer neuen Firma oder Expansion einer alten) initiiert, und dazu gezwungen bzw. sonst durch Verluste aus dem Markt gedrängt wird. Doch dieser disziplinierende Mechanismus existiert im Syndikalismus eben nicht: jedes Unternehmen kann autonom entscheiden, wie es organisiert ist, was es produziert und ob und wie es sich verändert. Die Produzenten bestimmen die Produktion, nicht die Konsumenten. Unter der realistischen Annahme, dass die Arbeiter eines Unternehmens ihre Interessen denen der Konsumenten überordnen, ist klar, dass nicht die notwendigen Veränderungen vorgenommen werden, um die Wirtschaft den Konsumentenbedürfnissen entsprechend zu verändern. So können beispielsweise keine Arbeiter von der einen Branche in die andere verschoben werden, wie es den Konsumentenpräferenzen entspräche, wenn diese Arbeiter dies nicht wollen – was sehr wahrscheinlich ist, wenn sie in anderen Branchen weniger verdienen würden. Außerdem fehlt grundsätzlich der Entrepreneur, der diese Ungleichgewichte zwischen Konsumentenwünschen und Produktionsstruktur erkennen könnte. Darüber hinaus entsteht ein ultimativ instabiles Machtgefüge zu Gunsten der lebensnotwendige Güter produzierenden Unternehmen.

Der Syndikalismus gleicht einer starren Schablone, die auf eine dynamische Welt gelegt wird, der sie schon bald nicht mehr entspricht, und die durch keinen Prozess gezwungen wird, sich angemessen zu verändern. Es ist daher kein System, das in der Realität erfolgsversprechend ist – und wurde aus diesem Grund auch noch nie ernsthaft ausprobiert.

Weiterführende Literatur

Mises, Ludwig von. Human Action: A Treatise on Economics. Indianapolis: Liberty Fund, 2007 [1949], Seiten 812-820.

van der Walt, Lucien (2018). „Syndicalism“. In Levy, Carl and Matthew S. Adams. The Palgrave Handbook of Anarchism. Cham: Palgrave Macmillan. pp. 249-263.

Baker, David (2006). “The political economy of fascism: Myth or reality, or myth and reality?”. New Political Economy, 11:2, pp. 227-250, DOI: 10.1080/13563460600655581


[1] Hier sind es dann nicht Gewerkschaften einzelner Unternehmen, sondern die jeweiligen Gilden, die die Verwendung der Produktionsgüter in einem Sektor bestimmen.

[2] Der Korporativismus gleicht dem Gildensozialismus.

[3] Im Korporativismus/Gildensozialismus gibt es analog dazu Tauschbeziehungen zwischen den verschiedenen Sektoren. Die folgenden Bemerkungen treffen daher auf letztgenannte Systeme und den Syndikalismus zu.

Max Molden

Max Molden hat in Bayreuth Philosophy and Economics studiert und am King's College London seinen Master in Political Economy gemacht.