Orwell, George
Von Nikodem Skrobisz
Wann und wo auch immer es um den Kampf für politische Freiheit geht, dauert es meist nicht lange, bis der Titel von George Orwells berühmtesten Buch „1984“ fällt. Wie kaum eine andere Dystopie veranschaulicht dieser vom Stalinismus inspirierte Roman die Schrecken eines totalitären Überwachungsstaates. Orwells zweitbekanntestes Buch „Farm der Tiere“ ist eine kritische Parabel auf die russische Revolution und den darauffolgenden Sowjetterror. Im Ostblock wurde die Lektüre seiner Bücher daher mit Gefängnisstrafen geahndet, während sie sich im liberalen Westen sehr schnell und bis heute als Schullektüren und Longseller etablierten. George Orwell ist damit der wahrscheinlich einflussreichste politische Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Die CIA erwarb sogar die Rechte an den Romanen und ließ sie verfilmen und während des Kalten Krieges für antikommunistische Propaganda verwenden – dabei war Eric Arthur Blair, wie der Schriftsteller eigentlich hieß, selber ein Sozialist.
Biographie
George Orwell kam als Eric Arthur Blair am 25. Juni 1903 in der indischen Region Bengalen als Sohn eines Kolonialbeamten zur Welt. Zusammen mit seiner Mutter und seinen beiden Schwestern zog er bereits im Alter von einem Jahr nach England, wo er aufwuchs und bald das private Internat Preparatory School St.Cyprian’s besuchte. Er war dort als schüchterner und oft kranker Junge umgeben von Schülern aus viel reicheren Familien als der seinen. Entsprechend erlebte er viel Ausgrenzung, Mobbing und Einsamkeit. Eric Arthur Blair entwickelte dadurch seinen für ihn typischen unbeugsamen und nonkonformistischen Individualismus und seine Liebe zur Freiheit und Gerechtigkeit, die sich wie ein roter Faden durch sein ganzes Leben ziehen sollten. Die prägenden und traumatischen Erfahrungen dieser Zeit fasste er später in dem posthum veröffentlichen Essay mit dem ironischen Titel „Die Freuden der Kindheit“ zusammen. Darin griff er die Grausamkeit und den Snobismus sowohl seiner Mitschüler als auch der Lehrer und die Heuchelei der damals bestehenden puritanischen Moralvorstellungen und des Bildungssystems an. Nichtsdestotrotz war Eric Arthur Blair ein intelligenter Schüler: Ein königliches Stipendium ermöglichte es ihm auf das renommierte Eton College zu gehen. Die finanzielle Situation seiner Familie machte es ihm allerdings unmöglich sein Studium fortzusetzen, weshalb er sich mit neunzehn Jahren zum Polizeidienst im südostasiatischen Burma (heute Myanmar) meldete.
Die Brutalität der Kolonialherren, die Unterdrückung der einfachen Leute, der Zwang Gesetze zu vollstrecken, an die er selber nicht glaubte, und der Mangel an Freiheit, die er dort erlebte, widersprachen allerdings seinem Charakter und formten nachhaltig seine Ablehnung des Imperialismus und jeglicher Herrschaft von Menschen über andere Menschen. Er konnte sich nicht mit der repressiven Kolonialgesellschaft identifizieren, und tat alles, um sich von ihr abzugrenzen, indem er zum Beispiel mit einem Motorrad fuhr statt ein Pferd zu reiten, doch es reichte nicht aus. Nach fünf Jahren quittierte er 1927 den Polizeidienst und beschloss Schriftsteller zu werden. Er zog zuerst nach Paris, wo er als Lehrer arbeitete und nebenbei schrieb. Nachdem er jedoch seine Anstellung verlor, reichten die Einnahmen aus der Schriftstellerei nicht aus, um sich allein über Wasser zu halten. Eigentlich hätte Orwell einfach zu seinem Elternhaus zurückkehren können, doch ihn faszinierte das Leben der Armen und er war der Überzeugung, für seine Literatur die Armut am eigenem Leib erleben zu müssen, weshalb er sich von der Mittelschicht abwandte und begann zuerst in Paris und dann in London unter den Armen ein Vagabundenleben zu führen. Mehrere Monate zog er als Landstreicher umher und schlug sich dank der Hilfe von Freunden und mit gelegentlichen Anstellungen als Lehrer, Tellerwäscher, Erntehelfer und Buchhändler durch. Seine Erfahrung verarbeitete er in seinem ersten autobiographischen Roman „Erledigt in Paris und London“, der bereits 1933 unter seinem Pseudonym George Orwell erschien. Ein Jahr darauf folgte sein erster fiktionaler Roman „Tage in Burma“, in welchem er seine Kritik an Herrschaft allgemein, und insbesondere am Imperialismus und Kapitalismus literarisch ausformulierte. Seine wohl aber ausführlichste Reportage über das Leben der Armen aus dieser Zeit, ist das Buch „Der Weg nach Wigan Pier“, für das er sich unter die Bergbauleute mischte, und das damals mit seiner schonungslosen Ehrlichkeit und seiner klaren, für jeden verständlichen Prosa das lesende Bürgertum schockierte. Aufgrund dieser Recherchen in prekären Milieus und seines linken Aktivismus, wurde Orwell bereits ab 1929 von der Polizei und später auch vom Inlandsgeheimdienst, dem M15, beobachtetet.
Zu der Zeit erlangte der britische Faschist Oswald Mosley zunehmend an Popularität, was Orwells sozialistische Ansichten festigte, wobei er im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen keinen autoritären Realsozialismus, sondern einen demokratischen–liberalen Sozialismus vertrat. Seine Beziehung mit der politisch aktiven Psychologie-Studentin Eileen O’Shaughnessy bestärkte ihn vermutlich darin noch mehr. Er heiratete sie im Juni 1936. Im Dezember des gleichen Jahres reiste er nach Barcelona, um im spanischen Bürgerkrieg gegen den faschistische Rebellion Francos zu kämpfen. Er schloss sich der anarchistisch-marxistischen Miliz der P.O.U.M (Partido Obrero de Unificación Marxista) an, die einen freiheitlichen Sozialismus durch den Abbau aller Herrschaftsstrukturen einführen wollte. Orwell stieg aufgrund seiner Bildung und Vergangenheit als Polizist sehr schnell bis zum Leutnant auf und war dabei zeitweise im Korrespondentenbüro der britischen linken Partei I.L.P. (Independent Labour Party) tätig, das er sich mit Ernest Hemingway, André Malraux und Leopold Kohr teilte. Ende Mai 1937 erlitt Orwell bei Kämpfen einen Halsdurchschuss. Während er im Lazarett lag, begannen die Stalinisten die Macht unter den Widerstandskämpfern an sich zu reißen und Säuberungsaktionen durchzuführen, deren Ziel auch anarchistische Bewegungen wie die P.O.U.M. waren. Er musste sich vor den Kommunisten verstecken und schaffte es dann im Sommer zusammen mit seiner Frau Eileen über Frankreich zurück nach England zu fliehen. Mehrere seiner Freunde wurden von den moskautreuen Kommunisten ermordet, wodurch er die Kommunisten als Verräter der linken Sache betrachtete und zu einem glühenden Kritiker Stalins wurde. Dies und seine Bewunderung für die klassenlosen Verhältnisse unter den linken Freiheitskämpfern und seine Erfahrungen mit Kriegspropaganda, die ihn lehrten Nachrichten zu misstrauen, sollten seine literarische Kritik von Herrschaft präzisieren und ihn zu einen politischen Außenseiter machen. Eine erste Aufarbeitung verfasste er bereits 1937 unter dem Titel „Mein Katalonien“. Nach seiner Rückkehr nach London konnte er jedoch für diesen und viele seiner anderen Texte nur mit Mühe Verleger finden. Die meisten seiner linken Freunde rieten ihm von der Veröffentlichung ab. Dazu kam, dass der 2. Weltkrieg ausbrach und man in England sich mit Kritik an Stalin öffentlich zurückhielt und sogar durch die Politik und die Medien eine prosowjetische Haltung propagiert wurde, da die Sowjetunion ein wichtiger Verbündeter im Kampf gegen die Achsenmächte war.
Während des Krieges arbeitete Orwell für den BBC, kündigte aber nach zwei Jahren, weil der Sender, für ihn inakzeptabel, Propaganda verbreitete. Er wurde Kriegsberichterstatter in Paris und danach Korrespondent in Köln, bis er im März 1945 die Nachricht von dem Tod seiner Frau erhielt und zurück nach England reiste, um sich um seinen Adoptivsohn zu kümmern.
Im August erschien 1945 sein erster großer literarischer Erfolg, die Fabel „Farm der Tiere“, die eine mit sprechenden Tieren besetzte Parabel auf den Verrat der Mächtigen im Verlauf einer Revolution ist und vor allem auf den Verrat der sozialistischen Ideale der russischen Revolution durch den Stalinismus anspielt. Das Buch erhielt anfangs sehr gemischte Kritiken, verkaufte sich allerdings als erstes von Orwells Büchern sehr gut und ist bis heute ein Klassiker. Die das daraus stammende berühmte Redewendungen „Alle (Tiere) sind gleich, aber manche sind gleicher“ ist mittlerweile ein geflügeltes Wort.
Im Mai 1947 zog Orwell in ein verlassenes Farmhaus ohne Strom und Telefon auf der abgeschiedene Insel Jura vor der Westküste Schottlands. Dort schrieb er sein großes Meisterwerk, welches die Erfahrungen seines gesamten Lebens verarbeitete: die Dystopie „1984“. In dieser zeichnete er mit analytischer Schärfe die düstere Zukunftsvision eines totalitären Überwachungsstaates nach Vorbild der Sowjetunion, in welchem die Bevölkerung durch überall hängende Bildschirme überwacht wird, mit Massenmedien, Pornographie und inszenierten Ereignissen manipuliert und mit gnadenloser Gewalt unterdrückt wird. Zwischenzeitlich musste er während des Schreibens aufgrund einer Lungenentzündung, die seinen linken Lungenflügel beinahe zerstörte, ins Krankenhaus und schaffte es nur mit Mühe weiter zu arbeiten. Dezember 1948 vollendete er dann den Roman, der im Juni 1949 erschien. Seitdem wurde „1984“ in über dreißig Sprachen übersetzt, verfilmt und mehrere Millionen mal verkauft. Bis heute taucht es immer wieder auf der Bestsellerliste auf, vor allem wenn Skandale rund um Überwachung, wie die NSA-Affäre, die Öffentlichkeit erschüttern, und prägt unsere Literatur und Kultur nachhaltig. Auch Neologismen und Redewendungen aus „1984“ sind mittlerweile in den allgemeinen Sprachgebrauch übergangen, wie „big brother is watching you“, „doppelplusungut“, „Neusprech“, „Wahrheitsministerium“ und „Doppeldenk“, aber auch die Bezeichnung „orwellsch“ bzw. „orwellian“ für totalitäre Verhältnisse, und sind heute wichtiger Bestandteil im Diskurs um Pressfreiheit und politische Freiheit.
Von all dem Erfolg bekam Orwell allerdings nicht mehr viel mit, da er bereits am 21. Januar 1950 im Alter von 46 Jahren an einer durch Tuberkulose verursachten Lungenblutung starb. Sein großes Vermächtnis lebt jedoch weiter. Wie kein Zweiter hat er die Gefahren von Macht und Überwachung und die Wichtigkeit von politischer Freiheit und Wahrheit literarisch verständlich gemacht, weshalb er uns zurecht bis heute als einer der wichtigsten Advokaten der Freiheit in Erinnerung geblieben ist.
Literatur
Orwell, George: 1984. Ullstein Taschenbuch 1994.
Orwell, George: Farm der Tiere. Diogenes Verlag 2011.
Orwell, George: Tage in Burma. Diogenes Verlag 2003.
Orwell, George: Mein Katalonien: Bericht über den Spanischen Bürgerkrieg. Diogenes Verlag 2003.
Orwell, George: Erledigt in Paris und London. Diogenes Verlag 2007.
Shelden, Michael: George Orwell: Eine Biographie. Diogenes Verlag 1993.