Negative und positive Freiheit

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Von Jenny Joy Schumann

Man kann auf unterschiedliche Weise von Freiheit sprechen. Wenn man von Freiheit spricht, kann man politische, persönliche oder auch geistige Freiheit meinen. Quer zu diesen drei Anwendungsbereichen gibt es in der Philosophie eine systematische Untergliederung zwischen negativer und positiver Freiheit.

Positive Freiheit? Ist das nicht doppelt gemoppelt? Nein, ist es nicht. Stell dir vor, ein einsames Pferd steht mitten auf der Weide, welche von einem Zaun umgeben ist. Das Pferd ist eingesperrt und somit nicht frei. Gibt es jedoch keinen Zaun, ist das Pferd negativ frei. Es besteht eine Abwesenheit von Zwängen und Einschränkungen. Dem Pferd stehen alle Möglichkeiten offen. Es kann die Weide verlassen, dortbleiben, Gras fressen oder losgaloppieren. Jedoch erst, wenn das Pferd eine dieser Möglichkeiten ergreift, und in die Tat umsetzt, ist es auch im positiven Sinne frei. Positive Freiheit ist der Zustand, in dem das Pferd diese gegebenen Möglichkeiten auch nutzt.

Diese Unterteilung geht zurück auf einen Essay von Isaiah Berlin (1958) mit dem Titel „Two Concepts of Liberty“. Sir Isaiah Berlin war ein russisch-britischer politischer Philosoph und Ideengeschichtler, der insbesondere durch diese Unterteilung der Freiheit bekannt wurde. Zwar beschreiben sie beide „die“ Freiheit, doch kann der Mensch auf zweierlei Arten frei sein:

Negative Freiheit (freedom from) wird auch bezeichnet als Freiheit „von“ etwas, wie zum Beispiel die Freiheit von äußeren Zwängen. Negative Freiheit wird als natürliches Recht definiert. So können wir sagen: „Ich bin niemandes Sklave.“

Das Individuum befindet sich in einer Zone, in der es zu keiner Einmischung von außen kommt. So kann das Individuum selbständig handeln, ohne dass jemand es daran hindert. Das Wort ,,negativ“ meint, dass niemand Gewalt gegen das Individuum anwenden darf, wie es ihm beliebt.

Positive Freiheit (freedom to) hingegen ist die Freiheit etwas „zu“ tun und „zu“ lassen, was man möchte. Also nach seinem eigenen Willen zu handeln. Positive Freiheit wird als Anrecht gesehen. So können wir sagen: „Ich bin mein eigener Herr.“

Das Individuum hat die Möglichkeit, die eigenen Ziele zu erreichen, unabhängig davon, ob es hierbei zu äußerer Einmischung kommt oder nicht. Freiheit wird ausgelegt als maximale Handlungsmöglichkeit, auch wenn andere darunter leiden müssen. Deshalb wird „positiv“ auch oft mit aktiv und offensiv assoziiert.

Hierbei wird jedoch ein starkes Spannungsverhältnis deutlich. Die negative Freiheit wird als Abwehrrecht gegen den Staat verstanden, welche dem Staat bei einer immer größeren Ausdehnung der Regierungstätigkeit im Weg steht. Negative Freiheit wehrt sich gegen eine zu große Einflussnahme der Regierung. Positiver Freiheit eilt ein anderer Ruf voraus. Sie wird häufig mit staatlicher Unterstützung und damit auch als Wegweiser zu einem bestimmten Lebensstil assoziiert. Positive Freiheit kann Hand in Hand mit der Regierungstätigkeit gehen.

Dieses Spannungsverhältnis ist Isaiah Berlin durchaus bewusst. Genauso, wie das totalitäre Potential, welches er der positiven Freiheit zuschreibt. Er befürchtet, wenn Freiheit im positiven Sinne verstanden wird, kann dies vom Staat ausgenutzt werden. Umerziehungsmaßnahmen, wie zum Beispiel die „Reeducation“, welche die Umerziehung durch die alliierten Besatzungsmächte nach 1945 meint, können sehr unterschiedlich aufgefasst werden. Im Westen wurde die „Reeducation“ mit Adjektiven wie „demokratisch“ und „freiheitlich“ in Verbindung gebracht. In Mittel- und Ostdeutschland mit „antifaschistisch“ und „prokommunistisch“.

Umerziehungsmaßnahmen und jeglicher Zwang könnten somit als „Befreiung von etwas“ gerechtfertigt werden. Folglich muss Berlin eher als Advokat der negativen statt der positiven Freiheit betrachtet werden. Er grenzt die negative Freiheit deutlich von der positiven Freiheit ab.

Diese Unterteilung lässt sich auch auf einzelne Bereiche anwenden – wie zum Beispiel die Religionsfreiheit.

Im Sinne der negativen Freiheit ist Religionsfreiheit die Freiheit, ungestört durch äußere Einmischung seine Religion auszuführen. Beschreibt man sie jedoch mit Hilfe der positiven Freiheit, dann ist Religionsfreiheit die Freiheit, die Religion, die man gewählt hat, auch tatsächlich auszuüben.

Auch bei der Pressefreiheit kann man diese Unterteilung je nach Definition feststellen:

Wird die Pressefreiheit als eine Freiheit von Zensur aufgefasst, ist sie negativ definiert. Wird sie jedoch als Freiheit, zu schreiben und zu drucken, was man will, angesehen, handelt es sich um positive Freiheit.

Die Unterscheidung zwischen positiver und negativer Freiheit findet sich auch in Franklin D. Roosevelts Rede der vier Freiheiten. Am 6. Januar 1941 beschrieb der damalige Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika in seiner Rede zur Lage der Nation vier fundamentale Freiheiten, die weltweit jeder Mensch genießen sollte: Redefreiheit, Religionsfreiheit, Freiheit von Furcht und die Freiheit von Mangel und Not. Die vier Freiheiten bildeten die Grundlage für die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, welche im Jahre 1948 von den Vereinten Nationen anerkannt wurde.

Die ersten beiden Freiheiten (Freedom of Speech und Freedom of Worship) sind als negative Freiheiten formuliert. Die letzten beiden (Freedom from Fear und Freedom from Want) werden als positive Freiheiten aufgefasst. Die ersten beiden sind grundlegende Rechte, welche amerikanische Staatsbürger genießen. Die positiven Freiheiten sind keine natürlichen Rechte, sondern moderne Ansprüche an das Leben in einer Gesellschaft. Alles gar nicht so einfach.

Doch wie stehen andere Philosophen und Denker zu dieser systematischen Unterteilung der Freiheit? Schon bei anderen Autoren, sogar vor Berlin, fanden die negative und positive Freiheit als Begriffe Verwendung.

Gottfried Wilhelm Leibniz definiert die Handlungsfreiheit als „liberté de droit“, also Freiheit von Zwang, durch welche sich der freie Mensch von Sklaven unterscheiden lässt, und als „liberté de fait“, einer positiven Freiheit, in welcher sich zum Beispiel der kranke Mensch vom gesunden Menschen unterscheidet.

Jean-Jacques Rousseau definiert die allgemeine Freiheit negativ. Für ihn ist sie das Fehlen eines instinktiven Eingefügtseins des Menschen in sein Umfeld und die Natur.

Immanuel Kant unterscheidet negative und positive Freiheit als Willensfreiheit. Er sieht einen Unterschied zwischen einer so genannten willkürlichen Freiheit (negative Freiheit) und einer Autonomie (positive Freiheit). Bei Kant bedeutet Willkür, dass der Mensch tun und lassen kann, was er will. Der Mensch folgt dem „Impulsmoment“, also seinen eigenen Trieben. Die rationale Seite beherrscht der Mensch jedoch auch: Der Mensch besitzt die Möglichkeit, sich eigene Gesetze zu bilden, wie zum Beispiel das Sittengesetz oder den Kategorischen Imperativ. Die Chance, diese Gesetze zu wählen und zu befolgen, nennt Kant Autonomie oder auch positive Freiheit.

Kants politischer Freiheitsbegriff begründet sich auf dieser Autonomiebestimmung: Rechtliche Freiheit ist „die Befugnis, keinen äußeren Gesetzen zu gehorchen, als zu denen ich meine Beistimmung habe geben können“.

Freiheit ist kompliziert. Und genau deshalb wird die Diskussion über die Definition von Freiheit niemals enden.

Zum Nachschlagen
Negative und positive Freiheit:

Berlin, Isaiah, „Two Concepts of Liberty“ (1958):
http://cactus.dixie.edu/green/B_Readings/I_Berlin%20Two%20Concpets%20of%20Liberty.pdf

Roosevelt, Franklin D., „Four Freedoms Speech”:
https://fdrlibrary.org/four-freedoms

Umerziehung:

http://www.bpb.de/geschichte/nationalsozialismus/dossier-nationalsozialismus/39605/entnazifizierung-und-erziehung?p=all

Jenny Joy Schumann

Jenny Joy Schumann studiert Rechtswissenschaften an der Universität Leipzig.