Popper, Karl
Von Prof. Dr. Hardy Bouillon
Biographie
Karl Raimund Popper wurde am 28. Juli 1902 in Wien geboren. (Zunächst) ohne Abitur besuchte er Vorlesungen an der dortigen Universität, lernte Tischler und wurde Hauptschullehrer. 1928 promovierte er bei Karl Bühler und lernte den Wiener Kreis kennen. 1934 erschien seine Logik der Forschung, die erst 25 Jahre später auf Englisch publiziert wurde. 1937 folgte Popper einem Ruf nach Christchurch, Neuseeland. Dort verfasste er Die Offene Gesellschaft und ihre Feinde. Friedrich August von Hayek holte ihn 1945 an die London School of Economics. Von hier aus etablierte er seinen Ruf als bahnbrechender Wissenschaftstheoretiker und verteidigte den von ihm begründeten Kritischen Rationalismus gegen die Kritik aus den Reihen der Begründungsphilosophie. Am 17. September 1994 starb Popper in der Nähe von London.
Philosophie
Karl Popper gehört zweifellos zu den bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts. Zu seinem weltweiten Ruhm hat vor allem sein 1944 erschienenes Buch über die Offene Gesellschaft beigetragen. Doch schon lange vor Erscheinen der Offenen Gesellschaft war Popper als bahnbrechender Wissenschafts- und Erkenntnistheoretiker weit über die Fachgrenzen hinaus bekannt geworden. Viele der Einsichten und Grundüberzeugungen, die er in seinen erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Schriften verfeinerte, kennzeichnen auch seine Gesellschaftsphilosophie. Man könnte sie wie folgt zusammenfassen: Unsere Erkenntnis ist fehlbar. Alles, was wir tun (können), besteht letztlich aus Versuch und Irrtum und geschieht in der Hoffnung, die Erkenntnis und das Leben zu verbessern.
Die aktive Suche nach Fehlern und deren Ausmerzung im Bewusstsein der menschlichen Fehlbarkeit, aber auch im Bewusstsein der menschlichen Schöpferkraft, kennzeichnen Poppers Erkenntnistheorie und Gesellschaftsphilosophie gleichermaßen. Sie, die Offene Gesellschaft, ist zu einem geflügelten Wort für eine liberale und tolerante Gesellschaft geworden, die ihr Selbstverständnis in einem demokratisch geordneten Rechtsstaat zum Ausdruck bringt. In ihr sollen alle notwendigen Vorkehrungen getroffen werden, die eine Fortentwicklung der gesellschaftlichen Einrichtungen unter Wahrung der demokratisch-rechtsstaatlichen Ordnung gewährleisten, die Reformen in Richtung auf „Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit und Chancengleichheit“ erlauben und von Utopien fehlgeleitete Revolutionen verbieten.
Liberalismus
Die Offene Gesellschaft ist als Verteidigung der individuellen Freiheit gegen totalitäre Ideale, die sich utopischer oder holistischer Sozialtechnologien bedienen, angelegt. Bei genauerer Betrachtung erkennt man jedoch, dass sie ihrem Anspruch nicht gerecht wird – es sei denn, man setzte individuelle Freiheit mit Macht gleich. Popper vollzog – wohl unwissentlich – diese Gleichsetzung, und zwar aus konsequentialistischen Gründen. Ihm ging es um die Vermeidung eines vermeintlichen „Missbrauchs“ ökonomischer Freiheit. Er glaubte, der reine Nachtwächterstaat reiche nicht aus, um die Möglichkeit eines solchen „Missbrauchs“ auszuräumen. Dieser könne die individuelle Freiheit der ökonomisch Schwächeren letztlich zerstören. Poppers These ist, logisch betrachtet, falsch. Der Gebrauch ökonomischer Freiheit kann – solange er nicht mit einem Eingriff in eine fremde Privatsphäre einhergeht – lediglich die individuelle Macht Dritter (also deren positive Freiheit), nicht aber deren individuelle Freiheit, schmälern. Popper versäumte eine Abgrenzung zwischen positiver und negativer Freiheit. In der Folge verkannte er, dass es die von ihm vorgeschlagene Stückwerk-Technologie und der durch sie zum Ausdruck kommende ökonomische Interventionismus des Staates (den Popper zur Wahrung der positiven Freiheit propagierte) sind, welche die individuelle Freiheit beschränken.
Poppers Stückwerk-Technologie ist, formal betrachtet, wertfrei. Sie ist somit auch unabhängig von den Werten, die ein Sozialtechniker nach Poppers Auffassung umsetzen sollte. Ihr Vorteil liegt in ihrem melioristischen Charakter. Sie enthält ein Moment der Selbstkorrektur, das bei unbeabsichtigten und unerwünschten Nebenfolgen greifen kann. Da sie wertfrei ist, kann sie zu jedem möglichen Resultat führen; zu einer strikt liberalen Gesellschaft ebenso wie zu einer totalitären oder zu jeder anderen politischen Gemeinschaft. Vor diesem Hintergrund dürfte es kaum verwundern, dass Poppers Vorschläge zu einer freien, offenen Gesellschaft in verschiedenen politischen Lagern Befürworter fanden, von Helmut Schmidt über Helmut Kohl bis hin zu Margaret Thatcher.
Literatur
Popper, Karl: Logik der Forschung, Tübingen: Mohr 1982.
Popper, Karl: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Tübingen: Mohr 1992.
Popper, Karl: Lesebuch, Tübingen: Mohr 2005.
Bouillon, Hardy (Hrsg.): Philosophie der freien Gesellschaft. Ein Karl-Popper-Brevier, Zürich: nzz 2013.