Richter, Eugen
Von Frank Schäffler
Eugen Richter (* 30. Juli 1838 in Düsseldorf; † 10. März 1906 bei Berlin) war ein Parlamentarier, der von der Kanzlerschaft Otto von Bismarcks (1871-1890) bis zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts den Liberalismus in Deutschland entscheidend prägte. In dieser Zeit war er der prominenteste Kritiker der protektionistischen Wirtschaftspolitik sowie der Sozialgesetzgebungen des Reichkanzlers. Später führte er heftige Debatten gegen die deutsche Rüstungspolitik und den Kolonialismus. Richter gilt durch sein klares Bekenntnis zum Manchesterliberalismus und seine rhetorische Schärfe im Parlamentsbetrieb, als eine der wichtigsten liberalen Stimmen des späten neunzehnten Jahrhunderts in Deutschland.
Biographie
Eugen Richter wurde 1838 in Düsseldorf als Sohn eines Regimentsarztes geboren. Es heißt, die Atmosphäre im Hause Richter sei sehr stark oppositionell und regierungskritisch gewesen, so dass er schon als Schüler durch seinen Freigeist auffiel. 1856 nahm er zunächst das Studium der Staatswissenschaften bei dem national-liberalen Friedrich Christoph Dahlmann in Bonn auf und ging dann nach Heidelberg zu Robert von Mohl. Dort hörte er auch finanzwissenschaftliche Vorlesungen bei Karl Heinrich Rau, was ihn Zeit seines Lebens prägen sollte. Bereits in jungen Jahren schloss er sich der wachsenden wirtschaftsliberalen Bewegung in Deutschland an und war an der Seite von Hermann Schulze-Delitzsch, der durch die Gründung der „Vorschuss-Vereine“ die Genossenschaftsbewegung in Deutschland initiierte. Diese Graswurzelbewegung an praktizierter Selbsthilfe war die Antwort der Linksliberalen auf den steigenden Konsum-, Kapital- und Investitionsbedarf einer wachsenden Bevölkerung, die am Wohlstand teilhaben wollte. Nebenbei war Richter journalistisch tätig und machte sich als Verfechter der Gewerbefreiheit einen Namen, in dem er sich für Reformen im preußischen Gewerbewesen aussprach. Nach seinem Studium machte er eine Ausbildung im preußischen Justizdienst und legte 1864 seine Examen zum Regierungsassessor ab. 1868 wurde er Abgeordneter des Preußischen Landtages, das sich nach dem Dreiklassenwahlrecht zusammensetzte, und blieb dies bis zu seinem Tode. Zudem war er von 1867 bis 1871 und von 1874 bis 1906 Mitglied des Deutschen Reichstages. Seine Parteizugehörigkeiten spiegeln auch die Querelen des Liberalismus im Kaiserreich wieder. So begann er seine politische Karriere bei der Deutschen Fortschrittspartei und beendete sie bei der Freisinnigen Volkspartei. Die gesamte Zeit aber galt er als Wortführer des „entschiedenen“ Liberalismus in Deutschland.
Liberalismus als Gegenentwurf zum Konservatismus und Sozialismus
Als erfahrener Parlamentarier verfasste er das Politische ABC Buch, in dem er seine persönlichen Standpunkte zu den damaligen Debatten erörterte. Hier werden Gesetzesvorhaben und Steuerregelungen, aber auch Fragen zur Zensur und zum Urheberecht aus der Sicht Richters erörtert und fortlaufend aktualisiert. Das Buch verdeutlicht seinen konsistenten liberalen Kompass. So schreibt er: „Die Fortschrittspartei unter der Führung von Schulze-Delitzsch“ ist „stets bestrebt gewesen, dem Aberglauben von der Macht des Staates entgegenzuwirken, den Einzelnen auf sich selbst und die eigene Kraft zu verweisen und die Verantwortlichkeit des Staates für das Wohl des Einzelnen zurückzuweisen“. Wirtschaftspolitisch ging er davon aus, dass die „absolute Produktivität des Großbetriebes aber (…) ein großer Irrtum“ sei.
Richter war Non-Zentralist, indem er sagte: „Ich gehe von dem politischen Grundsatz aus, dass was in öffentlichen Dingen in kleinen Kreisen erreicht werden kann, auch in kleinen Kreisen durchgeführt werden soll und nicht auf größere zu übertragen ist.“ Und gegen die Bismarcksche Schutzzollpolitik entgegnete der Linksliberale: „Die wirtschaftliche Freiheit hat keine Sicherheit ohne politische Freiheit, das erfahren wir jetzt, und die politische findet ihre Sicherheit nur in der wirtschaftlichen Freiheit.“ In all den politischen Debatten war ihm Bismarck dabei dialektisch keineswegs gewachsen. Zudem war sein politisches Handeln von geradezu bedingungsloser Prinzipientreue geleitet, was ihn zu einer kontrovers diskutierten Person werden ließ. So wurde damals über Richter gesagt: „Dass ein Politiker gelegentlich, um das ganze Schiff zu retten, einen Teil seiner Fracht über Bord werfen muss, wollte ihm nie einleuchten“.
Innere Unabhängigkeit und Weitsicht in der wilhelminischen Epoche
Doch seine Prinzipien wirken heute verblüffend besonnen. Dies zeigt sich vor allem zu der Zeit der politischen und nationalen Wirren Ende des 19ten und zu Beginn des 20sten Jahrhunderts. Hier widersetzte er sich seinem liberalen Gegenspieler Friedrich Naumann. Dieser erwies sich nämlich als Befürworter der Flotten- und Kolonialpolitik von Kaiser Wilhelm II, wohingegen Richter Skeptiker des „Neuen Kurses“ war. Die einseitigen Militär- und Marineforderungen wies er mit der Begründung zurück, dass damit der eben erst entstandene Volkswohlstand wieder verkümmern würde. Zu der chinesischen Kolonialpolitik sagte er 1899 im Reichstag: „Kiautschou, der berühmte Platz an der Sonne kommt uns teuer zu stehen, die Millionen zerfließen dort wie Butter“. Zudem zog Richter auch gegen den aufkommenden Antisemitismus zu Felde, gegen den andere, wie Naumann, zumindest keinen Widerstand leisteten und bezeichnete Antisemitismus als eine für „unsere nationale Ehre, schädliche Bewegung“.
Als weitsichtig hat sich auch Richters Buch „Sozialdemokratische Zukunftsbilder – Frei nach Bebel“ erwiesen. Das 1890 veröffentlichte Werk ist ein dystopisches Szenario, in dem Richter die gesellschaftlichen Auswirkungen einer sozialdemokratischen Revolution konsequent weiterspinnt. Das Ergebnis enthält erstaunliche Parallelen zu den Erfahrungen, die später ganze Generationen im Sozialismus erfahren mussten, wie beispielsweise dem Zusammenbruch der Zivilgesellschaft.
Politikertypus nach Hayek
Allgemein verkörperte Richter den Politikertypus, den Friedrich August von Hayek im Schlusskapitel seiner „Verfassung der Freiheit“ über „Konservatismus und Liberalismus“ so beschreibt: „Was der Liberale zuallererst fragen muss, ist nicht, wie schnell oder wie weit, sondern wohin wir uns bewegen sollen. Tatsächlich unterscheidet er sich von dem kollektivistischen Radikalen von heute viel mehr als der Konservative. Während der Konservative einfach eine milde und gemäßigte Version der Vorurteile seiner Zeit hat, muss der Liberale heute einigen der grundlegenden Ansichten, die die meisten Konservativen mit den Sozialisten teilen, wirklich entgegentreten.“
So sah sich Richter übrigens selbst auch. 1884 sagte er im Reichstag: „Den rechten Kämpfer jedoch für die Rechte und Freiheiten des Volkes erkennt man daran, dass er auch in den für den Liberalismus ungünstigen Zeiten auf dem Platze bleibt.“
Referenzen
Barth, T. (1923). Politische Portraits. Franz Schneider Verlag.
Fröhlich, J; Fleck, H-G; Fesser, G.; u.a. (2007). Jahrbuch zur Liberalismus-Forschung. Jahrbuch zur Liberalismus Forschung. Nomos Verlag.
Raico, R. (1989). Die Stellung Eugen Richters im deutschen Liberalismus und in der deutschen Geschichte. Zeitschrift für Wirtschaftspolitik
Richter, E. (1903). Politisches ABC Buch. Verlag: „Fortschritt, Aktiengesellschaft“.