Genossenschaftswesen

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Von Frank Schäffler

„Einer für alle, alle für einen.“ Unter diesem Motto schließen sich in Deutschland vom Bauern bis zum privaten Kreditnehmer etwa 22 Millionen Menschen in ca. 8.000 genossenschaftlichen Unternehmen zusammen. Überall dort, wo Selbständigkeit gewahrt werden soll, man aber im Zusammenschluss mit Anderen seine wirtschaftlichen Ziele besser erreichen kann, ist die eingetragene Genossenschaft (eG) ein Erfolgsmodell. Das deutsche Genossenschaftswesen ist bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus der Erkenntnis entstanden, dass ein Individuum im freiwilligen Zusammenschluss mehr Marktmacht als der Alleinstehende hat.

Wesensmerkmale der Genossenschaften

Dabei gehen Mitglieder in Genossenschaften davon aus, dass die gemeinsame Ausübung einer Funktion für jedes einzelne Mitglied Vorteile bündelt, verglichen mit einer individualwirtschaftlichen Ausübung dieser Funktion. Wenn ein Bauer beispielsweise Dünger kaufen muss, so tut er dies über die Genossenschaft, die als Träger des Interesses des Bauern eine bessere Verhandlungsposition und Übersicht besitzt. So können auch kleine Betriebe und wirtschaftliche Interessengruppen von dem so genannten Skaleneffekt profitieren. Dieses Prinzip lässt sich beliebig auf andere Branchen übertragen. Bei privaten Haushalten liegt der Vorteil in einem höheren Realeinkommen, während Unternehmungen niedrigere Aufwendungen haben oder höhere Erträge erzielen, bei gleichzeitiger Erhaltung ihrer Selbständigkeit. Dabei gilt innerhalb jeder Genossenschaft das demokratische Prinzip: Das Mitglied und nicht die Kapitalbeteiligungen – wie bei einer AG – steht im Vordergrund der rechtlichen Regeln. Dadurch muss nicht den größten Investoren Rechenschaft abgelegt werden, sondern jedem Einzelnen.

Liberalismus und Genossenschaftswesen

In freien Märkten kann es passieren, dass sich auf natürliche Art und Weise wirtschaftliche Macht konzentriert. Daher ist es für Klein- und Mittelbetriebe notwendig, ein Gegengewicht im Markt herzustellen, in dem sie sich vereinigen. Schlussendlich sollen Großunternehmen nicht zerschlagen werden. Vielmehr dient das Genossenschaftswesen dazu, den Klein-  und Mittelbetrieben im freien Wettbewerb die Chancen zu bieten, die Großunternehmen bereits besitzen. Dabei beruhen Genossenschaften auf dem Grundsatz der Freiwilligkeit. So kann niemand gezwungen werden, und gleichzeitig darf niemand daran gehindert werden, einer Genossenschaft beizutreten. In seinem Wesen ist die Genossenschaft daher eine liberale Antwort auf die Mechanismen in freien Märkten, in denen kleinere und schwächere zum Teil verdrängt werden können. Genossenschaften sind daher bis heute ein wesentlicher Bestandteil der Wirtschaft und eine kluge wie einfache Lösung für das kleine gegenüber dem großen Kapital.

Geschichtliches

Drei Akteure haben im Wesentlichen dazu beigetragen, das Genossenschaftswesen in Deutschland zu erfinden und zu entwickeln. Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818-1888), der als Namensgeber der Raiffeisen Banken bis heute den meisten ein Begriff ist, entwickelte das System aus einer christlichen Motivation heraus. Hermann Schulze-Delitzsch (1808-1883) und später Wilhelm Haas (1839-1913) waren primär liberale Denker, denen es um die dezentrale und eigenverantwortliche Organisation kleinerer Unternehmen ging.    

Raiffeisen entwickelte das Modell des Darlehenskassenvereins, das sich auf das ländlich-landwirtschaftliche Genossenschaftswesen fokussierte. Diese Vereine gaben den Mitgliedern mittelfristige Kredite für Vieh, Stallung, Geräte und Dünger. Auch durch die Vertrautheit der Mitglieder untereinander stieg so die Solidarität. Das Konzept funktionierte so gut, dass es bis 1897 etwa 2.000 Darlehenskassenvereine gab, die bereits 170.000 Mitglieder hatten.

Herman Schulze-Delitzsch gründete hingegen Vorschussvereine, die größere und langfristigere Kredite vergaben, als die von Raiffeisen. Die Vereine konzentrierten sich auch auf das Handwerk und das mittlere Gewerbe. Dabei war für ihn der Charakter der Selbsthilfe entscheidend, um eine Antwort auf die soziale Frage zu geben. So ist es nicht nachhaltig, Benachteiligte bloß mit Almosen zu versorgen. Bedürftige müssen auch zum wirtschaftlichen Handeln bewegt werden, zur Selbsthilfe.

Es kam zu Unstimmigkeiten zwischen Raiffeisen und Schulze-Delitzsch.  Raiffeisen wollte die Genossenschaften zentral organisieren, um die regional stark schwankenden Liquiditätslagen der Darlehenskassen auszugleichen. Auch die Kooperation mit dem Staat schlug Raiffeisen dabei nicht aus. Für Schulze-Delitzsch musste jedoch die Selbstverantwortung das ordnende Prinzip einer jeden Genossenschaft sein und so lehnte er  fremde Staatshilfe und die zentrale Organisation stets ab.

Diesen Konflikt löste Wilhelm Haas, indem er die genossenschaftlichen Verbände einheitlich ordnete und so in die richtigen Bahnen für die Zukunft lenkte. Er organisierte die einzelnen Genossenschaften dezentral und stark subsidiär. Genossenschaften standen Regionalverbände vor, die wiederum von einem Reichsverband verbunden wurden. Dabei erfolgte die Willensbildung innerhalb des Verbundes in demokratischer Abstimmung – genauso, wie in den Genossenschaften selbst – das Gegenmodell hierarchisch strukturierter Industrieunternehmen oder Großbanken. Auf diese Weise konnte regionalen Eigenheiten besser Rechnung getragen werden – ein Charakteristikum, das sich für den späteren Ausbau des Genossenschaftswesens als sehr vorteilhaft erweisen konnte. So zum Beispiel in der Finanzkrise 2008.   

Literatur

Stappel, M. (2017). „Das Raiffeisen-Jahr 2018“ in Die Deutschen Genossenschaften 2017. DG-Verlag. Wiesbaden.

Mändle, E; Swoboda, W. (1992). Genossenschaftslexikon. Deutscher Genossenschaftsverlag eG. Wiesbaden.

Aschhoff, G; Henningsen, E. (1995). Das deutsche Genossenschaftswesen. Entwicklung, Struktur, wirtschaftliches Potential. Fritz Knapp Verlag. Frankfurt (Main).

Engelhardt, W.-W. (1990). „Die Genossenschaftsidee als Gestaltungsprinzip“ in Genossenschaftswesen. Hand- und Lehrbuch. R. Oldenbourg Verlag GmbH. München.

Frank Schäffler

Frank Schäffler ist Mit-Gründer und Geschäftsführer der Denkfabrik Prometheus - Das Freiheitsinstitut in Berlin. Von 2005 bis 2013 und seit 2017 ist er Mitglied des Bundestages für die FDP. Bekannt geworden ist er als Kritiker der Euro-Rettungspolitik seit 2011. Das Thema Währungspolitik zählt zu seinen inhaltlichen Schwerpunkten.