Molinari, Gustave de
Von David Hart
Gustave de Molinari (1819-1912), der führende Vertreter der Laissez-faire-Schule des klassischen Liberalismus im Frankreich der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, setzte sich bis ins hohe Alter gegen Protektionismus, Etatismus, Militarismus, Kolonialismus und Sozialismus ein. Wie er kurz vor seinem Tod sagte, waren seine klassisch liberalen Ansichten während seines langen Lebens gleichgeblieben, aber die Welt um ihn hatte sich in der gleichen Zeit stark verändert.
Molinari wurde in liberalen Kreisen aktiv, als er in den 1840er Jahren von seiner Heimat Belgien nach Paris zog, um eine Karriere als Journalist und Volkswirt zu verfolgen. Schnell wurde er zum Aktivisten für Freihandel, Frieden und die Abschaffung der Sklaverei. Sein Liberalismus basierte auf der Theorie der natürlichen Rechte, insbesondere des Eigentumsrechts, und der individuellen Freiheit und er plädierte für eine Laissez-faire-Wirtschaftspolitik und einen minimalen Staat. In den 1840er Jahren trat er der Gesellschaft für politische Ökonomie bei und war im Verband für Freihandel aktiv, der von Richard Cobden inspiriert und von Frédéric Bastiat unterstützt wurde. Während der Revolution von 1848 lehnte er den Aufstieg des Sozialismus entschieden ab und veröffentlichte kurz darauf zwei rigorose Verteidigungen der individuellen Freiheit, in denen er seinen Widerstand gegen alle staatlichen Eingriffe in die Wirtschaft, einschließlich des staatlichen Sicherheitsmonopols, radikaler formulierte als je zuvor. Er veröffentlichte 1849 ein kleines Buch mit dem Titel „Les Soirées de la rue Saint-Lazare“, in dem er den freien Markt und das Privateigentum durch einen Dialog zwischen einem marktwirtschaftlichen Volkswirt, einem Konservativen und einem Sozialisten verteidigte. Er erweiterte seine radikalen anti-etatistischen Ideen, die er erstmals in einem noch kontroverseren Artikel „De la Production de la Sécurité“ im Oktober 1849 im „Journal des Économistes“ vorstellte. Darin argumentierte er, dass private Unternehmen wie Versicherungsgesellschaften die Polizei und sogar die nationalen Sicherheitsdienste billiger, effizienter und moralischer erbringen könnten als es der Staat tue.
In den 1850er Jahren trug er eine Reihe bedeutender Artikel über Freihandel, Frieden, Kolonisation und Sklaverei zum „Dictionnaire de l’économie politique“ (1852-1853) bei, bevor er in sein Heimatland Belgien ins Exil ging, um dem autoritären Regime Napoleons III. zu entkommen. Er wurde Professor für Volkswirtschaftslehre am „Musée royale de l’industrie belge“ und veröffentlichte eine bedeutende Abhandlung über Volkswirtschaftslehre, die „Cours d’économie politique“ (2. Auflage, 1863). Er schrieb auch eine Reihe von Artikeln, die die staatliche Bildung dieser Zeit kritisierten. In den 1860er Jahren kehrte Molinari nach Paris zurück, um für das „Journal des Débats“ zu arbeiten, wo er von 1871 bis 1876 Herausgeber wurde. Zwischen 1878 und 1883 veröffentlichte Molinari zwei seiner bedeutendsten historischen Werke im „Journal des Économistes“: In L’Évolution économique du dix-neuvième siècle: Théorie du progrès (1880) und L’Évolution politique et la révolution (1884) versuchte sich Molinari an einer historisch Synthese, die zeigen sollte, wie moderne marktwirtschaftliche Industriegesellschaften aus Gesellschaften hervorgingen, in denen Klassenausbeutung und wirtschaftliches Privilegien vorherrschten und welche Rolle die Französische Revolution in diesem Prozess gespielt hatte.
Gegen Ende seines langen Lebens wurde Molinari Herausgeber der führenden Zeitschrift für Volkswirtschaft in Frankreich, dem „Journal des Économistes“ (1881-1909). Hier setzte er seinen Kampf gegen alle Formen des wirtschaftlichen Interventionismus fort und veröffentlichte zahlreiche Artikel über Naturrecht, Moraltheorie, Religion und aktuelle Wirtschaftspolitik. Am Ende des Jahrhunderts schrieb er eine Prognose über die zukünftige Entwicklung der Gesellschaft. In „The Society of the Future“ (1899) verteidigte er noch immer den freien Markt in all seinen Formen und räumte nur ein, dass sich die von ihm 50 Jahre zuvor befürworteten privaten Sicherheitsunternehmen möglicherweise nicht als lebensfähig erweisen würden. Dennoch blieb er dabei, dass privatisierte und lokale Monopole den landesweiten, staatlichen Monopolen vorzuziehen seien. Vielleicht war es ein Glücksfall, dass er kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs starb. Dadurch blieb ihm erspart, erleben zu müssen, wie destruktiv solche nationalen Zwangsmonopole sein könnten.
In den etwa 20 Jahren vor seinem Tod, zwischen 1893 und 1912, veröffentlichte Molinari zahlreiche Werke, in denen er das Wiederaufleben von Protektionismus, Imperialismus, Militarismus und Sozialismus kritisierte. Er glaubte, dass diese die wirtschaftliche Entwicklung behindern, die individuelle Freiheit stark einschränken und schließlich zu Krieg und Revolution führen würden. Sein letztes Werk zu diesen Themen veröffentlichte er im hohen Alter von 92 Jahren.
Der Tod Molinaris 1912 schwächte die klassisch liberalen Bewegung in Frankreich stark, und nur wenige Mitglieder der „alten Schule“ blieben übrig, darunter der Ökonom Yves Guyot und der Antikriegsaktivist Frédéric Passy, die beide bis in die 1920er Jahre lebten. Zum Zeitpunkt von Molinaris Tod fielen die wissenschaftlichen Fakultäten und die Redaktionen der großen Zeitschriften in die Hände der „neuen Liberalen“: Sozialisten, die den Laissez-faire-Liberalismus des 19. Jahrhunderts ablehnten.