Wilberforce, William
Von Clemens Schneider
William Wilberforce war eine der führenden Figuren in der Bewegung zur Sklavenbefreiung und hat eine der ersten Graswurzelbewegungen der Geschichte ins Leben gerufen.
Im Jahr 1759 in eine privilegierte Familie aus Yorkshire hineingeboren, war Wilberforce ein charmanter und begabter junger Mann, der einer vielversprechenden politischen Karriere in den höchsten Kreisen entgegensehen konnte. In seinen späten Zwanzigern kam er allerdings in die Gesellschaft einer ganz anderen Art von Leuten als die, mit denen er für gewöhnlich Umgang pflegte. Er begann, sich anzufreunden mit der Gesellschaft, vor allem aber mit den Ideen von evangelikalen Sonderlingen und Quaker-Querköpfen. Nicht gerade die vielversprechendsten Mitstreiter, aber – so empfand er – endlich einmal Menschen, die von etwas überzeugt waren. Diese Leute sollten ihm im Laufe der Zeit Ideen in den Kopf setzen, die aus heutiger Sicht etwas sonderbar erscheinen: So setzte er sich zum Beispiel ein für Gesetze gegen exzessiven Alkoholkonsum, Pornographie oder Sonntagszeitungen. Auf der anderen Seite trat er aber auch gegen die Todesstrafe ein und gründete die „Gesellschaft zur Verhinderung von Tierquälerei“. All dies aber ist unbedeutend verglichen mit dem bahnbrechenden Wandel, den er für die Menschheit herbeiführte.
Eines der Anliegen, das seine eigenartigen Freunde wieder und wieder aufbrachten, war der Sklavenhandel. Der Handel mit Männern und Frauen aus Afrika machte damals zusammen mit dem Handel mit von Sklaven produzierten Gütern einen Löwenanteil des britischen Außenhandels aus. Bis zu vierzigtausend Sklaven wurden in einem Jahr über den Atlantik gebracht. Wilberforces neue Freunde wurden nicht allein von der perversen Tatsache zutiefst abgestoßen, dass hier Menschen wie Besitz behandelt und verkauft wurden. Auch die Zustände auf den Sklavenschiffen waren von unvorstellbarer Grausamkeit. Schließlich waren diejenigen, die die Tortur der Überfahrt überlebt hatten, auf den Inseln der Karibik entsetzlichen und tödlichen Arbeitsbedingungen ausgesetzt. Dennoch war Sklaverei damals in weiten Teilen der Welt etwas völlig Normales. Scheinbar nahm nur ein Häuflein frommer Spinner daran Anstoß. Es schien ein aussichtloses und weltfremdes Unterfangen, den Sklavenhandel bekämpfen zu wollen – ein von Beginn an verlorenes Anliegen. Sklaverei war ein Grundpfeiler der britischen Wirtschaft – so sah es zumindest auf den ersten Blick aus und so wurde es dargestellt.
Seit 1787 beackerten diese Leute das ganze Land und warben für die Abschaffung des Sklavenhandels. (Sie waren überzeugt, dass nach Abschaffung des Handels auch das Problem der Sklaverei selbst rasch verschwinden würde. Es schien aber taktisch klüger, nicht sofort mit der Tür ins Haus zu fallen.) Zum ersten Mal in der Geschichte machte sich eine Graswurzelbewegung an die Arbeit: Männer und Frauen aus jedem Stand sammelten Beweise für die Grausamkeiten auf den Sklavenschiffen; sie hielten öffentliche Reden und Versammlungen; überzogen das Land mit Pamphleten und Flugblättern; sie fluteten Zeitungen mit Leserbriefen; sie organisierten Boykotte; und in den folgenden Jahren bekamen sie hunderttausende von Unterschriften zusammen für ihre Petitionen an das Parlament.
Wilberforce war 29 Jahre alt, als er am 21. Mai 1789 das erste Mal im englischen Unterhaus eine Rede hielt, in der er die Abschaffung des Sklavenhandels forderte. Zwei Jahre später brachte er erstmals einen Gesetzentwurf ein – und scheiterte damit deutlich. Die Zeitumstände damals waren ihm nicht gewogen. Die Französische Revolution hatte den Konservativen in England Auftrieb gegeben. Viele fürchteten, dass Reformen England letztlich auf den französischen Weg führen würden. Außerdem hatten die Sklavenhändler und diejenigen, die von Sklavenarbeit profitierten, eine mächtige und wohlhabende Lobby, die ihnen dabei half, zu verhindern, dass ihre grausamen Profite ruiniert würden.
In den folgenden Jahren brachte Wilberforce wieder und wieder Gesetze ein. Und wieder und wieder unterlag er. Häufig drohten er und seine Mitstreiter in Resignation zu verfallen, sie ruinierten ihre Gesundheit und mussten öffentliche Demütigung ertragen. Nach einem vielversprechenden Anfang waren das Jahre der Bitterkeit. Aber die Sache war ihnen zu wichtig, als dass sie die Hoffnung aufgegeben hätten. Unter Aufopferung ihrer Gesundheit und ihres Wohlergehens hielten sie durch. Fast achtzehn Jahre nachdem Wilberforce erstmals seine Stimme gegen den Sklavenhandel erhoben hatte, wurde am 23. Februar 1807 das Gesetz zur Abschaffung des Sklavenhandels vom englischen Parlament verabschiedet. Britische Schiffe, die einen großen Teil des weltweiten Sklavenhandels abwickelten, sollten nie wieder Menschen über den Atlantik bringen, als wären sie billige Ware.
Leider löste das Ende des Sklavenhandels nicht das vollständige Ende der Sklaverei aus, wie es sich viele der Abolitionisten erhofft hatten. Darum setzten sie ihre Bemühungen fort, die Sklaverei in Großbritannien und seinen Kolonien vollständig auszurotten. Als Wilberforces Gesundheit sich zunehmend verschlechterte, setzten jüngere Leute seine Arbeit und sein Kampf für die Menschlichkeit fort. Wilberforce lag auf dem Sterbebett, als er im Sommer 1833 erfuhr, dass ein Gesetz zur Abschaffung der Sklaverei im Parlament durchkommen würde. Das Gesicht dieser Welt zu verändern hatte buchstäblich sein ganzes Leben aufgezehrt. Die Geschichte mag dieses Opfer vergessen haben, sie mag die Namen von James Ramsay, Thomas Clarkson und William Wilberforce verweht haben. Aber sie und all die sonderlichen Querköpfe um sie herum haben für die vielleicht größte Geißel der Menschheit das Totenglöcklein geläutet.
Weiterführende Literatur
Hague, William. William Wilberforce: The Life of the Great Anti-Slave Trade Campaigner. HarperPress, 2012.
Metaxas, Eric. Amazing Grace: William Wilberforce and the Heroic Campaign to End Slavery. New York: HarperCollins, 2007.