Ordoliberalismus

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Von Daniel Nientiedt

Der Ordoliberalismus ist die deutsche Variante des Neoliberalismus. Beide Strömungen entstanden in den 1930er Jahren als Gegenbewegung zum Laissez-faire-Liberalismus des 19ten Jahrhunderts. Neo- bzw. Ordoliberale teilen die Überzeugung des alten Liberalismus, wonach die Freiheit des Individuums den höchsten politischen Wert darstellt. Allerdings sind sie der Auffassung, dass freier und fairer Wettbewerb eine aktive Rolle des Staates voraussetzt.

Die Geschichte des Ordoliberalismus beginnt mit der sog. Freiburger Schule, einer Forschungs- und Lehrgemeinschaft von Volkswirten und Juristen an der Universität Freiburg in den 1930er und 1940er Jahren. Die prominentesten Vertreter dieser Schule sind der Ökonom Walter Eucken (1891–1950) und der Jurist Franz Böhm (1895–1977). Zum Kreis der bedeutenden Ordoliberalen zählen auch Wilhelm Röpke (1899–1966) und Alexander Rüstow (1885–1963) als Vertreter des soziologischen Liberalismus, der Wirtschaftspolitiker Alfred Müller-Armack (1901–1978) sowie – mit gewissen Einschränkungen – Friedrich August von Hayek (1899–1992).

Die Freiburger Schule

Der theoretische Ansatz der Freiburger Schule stellt die Wirtschaftsverfassung in den Mittelpunkt der Betrachtung. Die Wirtschaftsverfassung ist die Gesamtheit aller (rechtlichen) Regeln und Institutionen, die das wirtschaftliche Leben beeinflussen. Eucken verwendet dafür die Metapher der Spielregeln. Normalerweise betrachten Ökonomen die Entscheidungen von Individuen innerhalb gegebener Spielregeln, etwa auf Märkten. Dagegen fragt die Freiburger Schule, wie sich unterschiedliche Spielregeln auf das Handeln der Beteiligten auswirken.

Das wirtschaftspolitische Paradigma der Freiburger besagt, dass der Staat Marktergebnisse durch Regelsetzung beeinflussen soll (Ordnungspolitik), statt direkt ins Marktgeschehen einzugreifen (Prozesspolitik). Euckens Hauptwerk Grundsätze der Wirtschaftspolitik enthält einen Vorschlag für den Regelrahmen einer freien Marktwirtschaft, die Wettbewerbsordnung. Sie besteht aus einer Reihe von Prinzipien, die dem Grundprinzip der Herstellung eines funktionsfähigen Preissystems unterworfen sind. Zu den wichtigsten Prinzipien der Wettbewerbsordnung zählen eine stabile Währung, offene Märkte, Vertragsfreiheit, individuelle Haftung sowie Monopolkontrolle.

Die Ideen der Freiburger Schule entstanden nicht zuletzt in Abgrenzung zur Diktatur und Planwirtschaft des Nationalsozialismus. Innerhalb der Universität hatte sich Eucken schon früh gegen die Anhänger der NS-Ideologie gestellt. Zusammen mit Böhm und anderen engagierte er sich in den oppositionellen „Freiburger Kreisen“ und formulierte Ideen für eine marktwirtschaftliche Nachkriegsordnung.

Soziale Marktwirtschaft und Wirkung bis heute

Nach Ende des zweiten Weltkriegs wurde die Arbeit von Eucken und seinen Kollegen zu einem wichtigen Baustein für die Wirtschaftsordnung der jungen Bundesrepublik. Politiker wie Ludwig Erhard und Müller-Armack verwiesen auf das Freiburger Forschungsprogramm als inhaltlichen Bezugspunkt für das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft. Ein Schüler Euckens, Leonhard Miksch, war als Mitarbeiter von Erhard unmittelbar an der Entstehung des Gesetzes zur Preisfreigabe („Leitsätzegesetz“) im Juni 1948 beteiligt. Auch das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen trägt die Handschrift der Freiburger.

Die Berufung Hayeks an die Universität Freiburg im Jahr 1962 gab dem ordoliberalen Forschungsprogramm neue Impulse. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern betonte er verstärkt die evolutionäre Entwicklung von Regeln und Institutionen. Eine bedeutende Weiterentwicklung des Ordoliberalismus erfolgte in den 1980er und 1990er Jahren durch Viktor Vanberg. Er zeigte die Gemeinsamkeit der Anliegen des Ordoliberalismus und der US-amerikanischen Verfassungsökonomik. Die Verbindung mit der Verfassungsökonomik ergänzt den Ordoliberalismus unter anderem um eine Theorie der Funktionsweise des Staates.

Internationale Aufmerksamkeit erfuhr der Ordoliberalismus in jüngerer Zeit durch zwei Ereignisse. Erstens durch die (verspätete) Veröffentlichung von Michel Foucaults Vorlesungsreihe Geburt der Biopolitik, die sich neben der Chicagoer Schule vor allem mit dem Ordoliberalismus beschäftigt. Zweitens durch die Eurokrise, die den Fokus von Medien und Öffentlichkeit auf die ökonomischen Traditionen in den Staaten der Eurozone lenkte. Der Ordoliberalismus wurde in diesem Zusammenhang als Erklärung für die Haltung der deutschen Bundesregierung in Fragen der Geld- und Fiskalpolitik angeführt. Auch wenn diese Darstellung im Detail kritisiert werden kann, lässt sich kaum bestreiten, dass die deutsche Position in der Krise vergleichsweise stark an Regeln orientiert war.

Literatur

Feld, Lars P., Ekkehard A. Köhler und Daniel Nientiedt (2015). Ordoliberalism, Pragmatism and the Eurozone Crisis: How the German Tradition Shaped Economic Policy in Europe, CESifo Working Paper No. 5368.
http://www.cesifo-group.de/DocDL/cesifo1_wp5368.pdf

Eucken, Walter (1940/1989). Die Grundlagen der Nationalökonomie, 9. Aufl., Berlin: Springer.

Eucken, Walter (1952/2004). Grundsätze der Wirtschaftspolitik, Tübingen: Mohr Siebeck.

Goldschmidt, Nils und Michael Wohlgemuth (Hg.) (2008). Grundtexte zur Freiburger Tradition der Ordnungsökonomik, Tübingen: Mohr Siebeck.

Kolev, Stefan (2017). Neoliberale Staatsverständnisse im Vergleich, 2. Aufl., Berlin: De Gruyter Oldenbourg.

Vanberg, Viktor (2004). The Freiburg School: Walter Eucken and Ordoliberalism, Freiburger Diskussionspapiere zur Ordnungsökonomik 04/11.
https://www.econstor.eu/bitstream/10419/4343/1/04_11bw.pdf

Daniel Nientiedt

Daniel Nientiedt ist Diplom-Volkswirt und Forschungsreferent am Walter Eucken Institut. Er studierte an der Universität Freiburg und beschäftigt sich mit der Neuen Politischen Ökonomie sowie mit der Geschichte ökonomischen Denkens.