Lachmann, Ludwig

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Von Roland Fritz

Der Ökonom Ludwig Maurits Lachmann (1906-1990) stellte seiner Zunft unangenehme Fragen und gibt Liberalen nach wie vor Rätsel mit auf den Weg, die zu ergründen es sich lohnt. Sein volkswirtschaftliches Werk, welches der Österreichischen Schule zuzurechnen ist, lehrt uns, wie komplex wirtschaftliche Zusammenhänge eigentlich sind und wie wenig die meisten Ökonomen davon eigentlich verstehen. Umso wichtiger ist es zu ergründen, wie Menschen das Kunststück vollbringen, in einer sich stets wandelnden Welt ihre subjektiv unterschiedlichen Pläne wechselseitig aufeinander abzustimmen und ihre Erwartungen an das Verhalten anderer nicht enttäuscht zu sehen. Lachmanns Überzeugung, dass freiheitliche politische und wirtschaftliche Institutionen eine Voraussetzung für erfolgreiche Plan-Koordination sind, machen ihn auch noch heute zu einem inspirierenden Denker in der liberalen Tradition.

Biographie

Lachmann studiert an der Humboldt Universität zu Berlin und promoviert bei Werner Sombart, einem einflussreichen Mitglied der jungen Historischen Schule. Dennoch interessiert sich Lachmann für die Österreichische Schule der Nationalökonomie, insbesondere Hayeks Kapital- und Konjunkturtheorie. 1933 wechselt er an die LSE, wo er auch Hayeks Assistent wird. Im Jahr 1948 nimmt Lachmann einen Ruf an die University of the Witwatersrand in Johannesburg (Südafrika) an, wo er bis zu seinem Lebensende bleibt. In diese Zeit fällt der Großteil seiner Publikationstätigkeit, wie auch weitere akademische Funktionen (zum Beispiel Präsident der Economic Society of South Africa 1961-63). An der „South Royalton Conference“ im Jahr 1974, die gemeinhin als „Wiedergeburt“ der Österreichischen Schule gilt, nahm Lachmann teil und war – neben Israel Kirzner und Murray Rothbard – als einer der wenigen „praktizierenden Austrians“ maßgeblich am Erstarken des Forschungsinteresses in dieser Tradition beteiligt. Ab dem Jahr 1975 verbringt Lachmann auf Einladung von Israel Kirzner das Sommersemester jeweils als Gastprofessor an der New York University, wo er großen Einfluss auf viele aufstrebende Ökonomen in der österreichischen Tradition und wohlgesonnene fellow travellers hatte (Peter Boettke, Steven Horwitz, David Prychitko, Mario Rizzo, Gerald O’Driscoll, Bruce Caldwell).

Lachmann als Ökonom

Das Einzige, das für Ludwig Lachmann vorhersehbar war, ist, dass alles immer unvorhersehbar ist. Es ist vermutlich kein Zufall, dass er als „Schrecken des Determinismus und Apostel des Ungleichgewichts“ sowie als „Prophet des Kaleidischen“ (Langlois 1986: 171) bezeichnet wurde. Woher rühren diese wuchtigen Zuschreibungen? Der Ausgangspunkt des Lachmann’schen Werkes, welches in den 1930er- und 40-er Jahren mit frühen Arbeiten zur Kapitaltheorie beginnt, ist die Subjektivität und Heterogenität von menschlichen Erwartungen. Während Carl Menger in seinen Grundsätzen (1871) ergründete, wie subjektive Wertschätzungen von Gütern die Preisbildung auf Märkten antreiben, zeigt Lachmann auf, dass der subjektive Charakter von ökonomischen Begebenheiten vor allem dann wichtig ist, wenn diese in die Zukunft reichen, wie zum Beispiel vor allem auf Finanzmärkten. Einschätzungen von Dingen, die noch nicht geschehen sind, müssen notgedrungen stärker intersubjektiv variieren als jene über Sachverhalte der Gegenwart – die Zukunft sei „unknowable, though not unimagineable„. Diese Intersubjektivität und Heterogenität von Erwartungen ist es auch, die für Lachmann den Marktprozess überhaupt erst antreibt: nur wenn unternehmerisch handelnde Akteure die zukünftigen Chancen von Handlungsoptionen verschiedentlich einschätzen, kommt ein Prozess in Gang, am Ende dessen die Konsumenten die beste Option auswählen können. Diese Einsicht schließt aber auch mit ein, dass viele der Pläne notgedrungen scheitern werden. Erschwerend kommt noch dazu, dass für Lachmann die Gegebenheiten, unter denen Unternehmer handeln müssen, ständig dem Wechsel unterworfen sind. Großen Einfluss übt hier der postkeynesianische Ökonom George Shackle mit seiner Idee einer „caleidic society“ auf ihn aus. Lachmann findet es bemerkenswert, dass unter diesen Umständen überhaupt menschliche Interaktion und – noch viel mehr – Kooperation zu Stande kommt. Seine Aufgabe sieht er darin, zu ergründen, welche Institutionen es Menschen ermöglichen, zuverlässige Erwartungen über das Handeln ihrer Mitmenschen zu bilden. Neben einem stabilen Rechtssystem und der Durchsetzungsfähigkeit von Eigentumsrechten betont Lachmann auch die Wichtigkeit von sozialen Normen für die langfristige Aufrechterhaltung einer Marktwirtschaft – die Art und Weise wie Menschen über marktliche Austauschprozesse denken wird, langfristig, auch die formalen Institutionen eines Gemeinwesen beeinflussen … zum Guten wie zum Schlechten. Neben Institutionenökonomik beschäftigen sich Lachmanns Schriften vor allem mit Kapital- und Geldtheorie sowie der Finanzwissenschaft. Charakteristisch ist hierbei stets seine Forderung, dass sich Ökonomen mehr mit Unterschieden in der Funktionsweise verschiedener Märkte beschäftigen sollten, anstatt allgemeingültige Gesetze über die auf ihnen ablaufenden Prozesse zu suchen. Natürlich sei die Informationsfunktion von Preisen und die koordinierende Wirkung von Angebot und Nachfrage sowohl am Markt für Blumenkohl als auch an jenem für Finanzprodukte oder soziale Dienstleistungen vorhanden. Für Lachmann waren aber gerade nicht diese Gemeinsamkeiten, sondern eher die Unterschiede in den jeweiligen Elastizitäten, der Motivation der teilnehmenden Akteure wie auch im Ausmaß an staatlicher Kontrolle und sozialer Regulierung von Interesse.

Wenig abgetretene Pfade schlägt Lachmann auch in Bezug auf die Methoden ein, die er für die volkswirtschaftliche Analyse als angebracht erachtet: Auf Grund der Subjektivität und Heterogenität der Faktoren, die Individuen zum Handeln motivieren, können wir dieses auch nur schwer mit Hilfe von Gleichungen beschreiben oder statistisch erfassen und auf der Basis Prognosen für zukünftige Entwicklungen erstellen. Viel eher muss es darum gehen, das individuelle Verhalten kausal-generisch zu verstehen und die subjektiven Motivationen, die einen Menschen zu einer Handlung treiben, zu ergründen. Hierbei lehnt er sich stark an die verstehende Methode Max Webers an. In Bezug auf Politikempfehlungen bleibt Lachmann relativ vage und sieht das Geben dieser als Ökonom auch nicht als seine Aufgabe an – abermals wird hier der Einfluss Max Webers klar ersichtlich.

Bedeutung für den Liberalismus

Lachmann offeriert ganz sicher kein umfangreiches geschlossenes liberales Denkgebäude, wie wir es beispielsweise von Ludwig Mises kennen. Auch die wirtschaftspolitischen Schlussfolgerungen, die sich aus seinem Werk ziehen lassen, zielen nicht immer konsequent auf einen Rückbau staatlicher Einflussnahme ab. Stattdessen legte er den Finger in kleine, unbedeutend erscheinende Wunden der Ökonomik und des Liberalismus und gibt uns somit bis heute wichtige Anregungen mit auf den Weg. Dennoch lässt sich aus einem relativ schmalen Gesamtwerk – es umfasst neben 5 Monographien noch gut 40 wissenschaftliche Aufsätze – klar eine klassisch liberale Position ableiten, die vor allem auf die Verbesserung des institutionellen Rahmens von Volkswirtschaften abzielt.

Großen Einfluss auf die zeitgenössische Österreichische Schule übt Lachmann vor allem durch seine Lehrtätigkeit an der New York University während der 70er- und 80er-Jahre aus. Große Teile der modernen „österreichischen“ Forschung bauen auf Lachmanns Anregungen auf (Virgil Storr: „We are all Lachmannians now!„). Gerade auch die Hinwendung der Österreichischen Schule zu verstehend-interpretativen und qualitativ-empirischen Methoden geht großteils auf ihn zurück. Auch wenn die Lachmann’sche Kritik in der Standard-Ökonomik noch nicht angekommen ist – und es ist zweifelhaft, ob sie das je tun wird – hilft Lachmann uns dabei zu verstehen, was das Ziel von liberaler Politik und liberalen Institutionen überhaupt sein sollte: die Ermöglichung von Kooperation zwischen einzelnen Gesellschaftsmitgliedern und Gruppen. Lachmann zeigt uns, wie schwierig diese eigentlich zu erreichen ist und wie imperfekt selbst Märkte – eines jeden Liberalen liebstes Kind – in der realen Welt operieren. Sein Anspruch, Institutionen zu erforschen, die menschliche Zusammenarbeit fördern und Marktprozesse besser funktionieren lassen, ist auch heute noch brandaktuell und eignet sich vorzüglich für den Aufbau eines klassisch liberalen Forschungsprogramms.

Literatur

Grinder, Walter E. (1977): In Pursuit of the subjective paradigm. In: Lachmann, L. M.: Capital, Expectations, and the Market Process. Menlo Park: Institute for Humane Studies.

Lachmann, Ludwig M. (1994): Expectations and the Meaning of Institutions: Essays in Economics by Ludwig M. Lachmann. Chapman Hall: Routledge.

Langlois, Richard N. (1986): Coherence and Flexibility: Social Institutions in a World of Radical Uncertainty. In Kirzner, I. M. (Hg.): Subjectivism, Intelligibility and Economic Understanding: Essays in Honour of Ludwig M. Lachmann on his Eightieth Birthday, London: Macmillan: 171-91.

Lewin, Peter (2018): Ludwig Lachmann – Enigmatic and Controversial Austrian Economist. Liberty Matters Juli, 2018, einsehbar unter: http://oll.libertyfund.org/pages/lm-lachmann.

Roland Fritz

Roland Fritz ist Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Siegen. Er studierte Soziologie und Sozioökonomie an den Universitäten Graz, Genf und Wien.