Machlup, Fritz
Von Max Molden
Fritz Machlup war ein Ökonom der vierten Generation der Österreichischen Schule, dessen umfassendes Lebenswerk nicht nur herausragende Beiträge in Bereichen wie dem internationalen Währungswesen und der Wissensgesellschaft umfasst, sondern vor allem auch eine der fundiertesten Theorien auf dem Gebiete der Methodologie und Wissenschaftstheorie der Ökonomik offeriert.
Biographie
Fritz Machlup wurde 1902 in Wiener-Neustadt als Spross einer jüdischen Familie ins Fin de Siécle geboren. Er begann 1920 ein Studium in Wien, welches er mit einer Doktorarbeit über “Die Goldkernwährung” beendete, die er unter der Aufsicht Ludwig von Mises’ verfasste und im Jahre 1923 fertigstellte; 1925 wurde sie veröffentlicht. Als Mises-Schüler und Jude hatte Machlup jedoch einen schweren Stand in Österreich und der dortigen akademischen Welt, bestritt seinen Lebensunterhalt daher durch die Arbeit im Familien-Unternehmen. Machlup erklärte aber, dass er in seinen späteren akademischen Tätigkeiten hiervon profitierte. Nichtsdestotrotz war Machlup in seiner Wiener Zeit wissenschaftlich tätig und steter Teilnehmer sowohl von Hayeks Geistkreis als auch des Privatseminars, welches Mises leitete. Beide wurden als Denk- und Diskussionszentren zu äußerst wichtigen Faktoren in Machlups wissenschaftlicher Karriere.
1933 nahm Machlup die Chance wahr, mittels eines Rockefeller-Stipendiums ein Jahr in den USA zu verbringen; angesichts der Entwicklungen in Deutschland und Österreich entschied er sich, in den Vereinigten Staaten zu bleiben, und erhielt 1935 einen Ruf an die University of Buffalo. 1947 wechselte er an die Johns-Hopkins-Universität, die er 1960 verließ, um in Princeton Jacob Viner zu beerben. In diese Zeit fällt die Publikation seines vielleicht bekanntesten Werkes, The Production and Distribution of Knowledge in the United States (1962), mit dem er eine neue Ära der ‘information society’ einleitete. Auch gründete Machlup 1963 die Bellagio Group mit dem Ziel einer Reform des internationalen Währungssystems. 1972 wurde Machlup in Princeton emeritiert, lehrte aber schon ab 1971 an der New York University, wo er unter anderem mit Israel Kirzner am Wiederaufleben der Österreichischen Schule der Nationalökonomie arbeitete. 1983 verstarb Machlup in seinem 82. Lebensjahr in Princeton in den USA. Er konnte auf ein vielfältiges und umfangreiches Oeuvre zurückblicken, das eine sehr große Anzahl an Büchern und Artikeln umfasst, die die verschiedensten Bereiche der Ökonomie abdecken. Er erhielt einige Ehrungen und fungierte unter anderem als Präsident der American Economic Association (1966). Auch war er eines der Gründungsmitglieder der Mont Pélerin Society. Ähnlich wie die anderen großen Ökonomen der Österreichischen Schule seiner Generation war Machlup ein überzeugter Anhänger des Klassischen Liberalismus.
Das Werk Machlups
Machlup war einer der produktivsten Ökonomen seiner Zeit, daher werden im Folgenden nur selektiv einige wichtige Felder angesprochen, auf denen Machlup arbeitete.
Internationale Währungstheorie, Geld- und Konjunkturtheorie
Machlups Interesse an internationaler Währungstheorie und Geldtheorie fand Ausdruck in der Gründung der Bellagio Group. Das grundlegende Ziel, welches der Mensch durch (die Nutzung von) Geld erreichen wolle, sei die Vereinfachung von Transaktionen, erklärte Machlup. Seine währungstheoretischen Untersuchungen (zum Beispiel International Payments, Debts and Gold (1964) und International Trade and the National Income Multiplier (1943)) legten besonderen Wert auf die Auswirkungen verschiedener Maßnahmen auf “payments adjustment, liquidity and confidence”. Unzufrieden mit dem Bretton-Woods-System versuchte Machlup einige praktische Reformvorschläge für die Verbesserung des internationalen Währungssystems zu konzipieren und damit Einfluss auf die Gestaltung der Währungspolitik zu nehmen – was ihm mittels der Bellagio Group wohl auch gelang. Er argumentierte für die Wichtigkeit flexibler Wechselkurse, die er als unabdingbar für ein funktionierendes System erachtete.
Machlup arbeitete auch im Bereich der Geldtheorie. Seine Version des “Austrian Business Cycle” ist eine sehr differenzierte Interpretation der Gefahr, Über- und Fehlinvestitionen durch Inflation (im ursprünglichen Sinne, also einer Ausweitung der Geldmenge) auszulösen. Mises hatte erklärt, Inflation wäre per se gefährlich und würde zu einer Verzerrung des Preissignals (des Zinssatzes) führen, die in Über- und auch Fehlinvestition resultiere. Dieses Argument weiterentwickelnd skizzierte Machlup in seinem Buch The Stock Market, Credit, and Capital Accumulation (1940, S. 184), dass “the limits of a healthy inflation of credit are determined by the extent of the simultaneous deflation due to hoarding.” Somit ist Inflation nicht per se gefährlich; Kreditvergabe nicht gedeckt durch Kapital (also „created credit“) ist dann gesund, wenn in entsprechendem Umfang Geld gehortet, also außerhalb des Geldkreislaufes gespart und nicht zur Kapitalformation investiert wird. Denn dann wird durch die Inflation nicht über die bestehende Kapitalstruktur hinaus investiert. So schließt Machlup (Ibid.): „additional purchasing power may be created and lent to investors to the extent that there are funds that have been saved but not invested.“ Nichtsdestotrotz war Machlup skeptisch, inwieweit das Ausmaß des Hortens bestimmt werden könne, und somit skeptisch bezüglich der Möglichkeit, „gesund“ zu inflationieren. Machlups Arbeiten auf diesem Gebiet zeichnen sich unter denen der ‚Österreicher‚ durch ihre einfache Darstellung dieser komplexen Zusammenhänge und eine klare und Ausdrucksweise aus, darin überboten vielleicht nur durch jene Richard von Strigls.
Die Wissensgesellschaft
Geprägt von seinen persönlichen Erfahrungen in der Wirtschaft untersuchte Machlup auch Monopole und Wettbewerb. The Political Economy of Monopoly (1952) kann beispielhaft genannt werden. Weiters studierte er mit kritischem Auge die Sinnhaftigkeit von Patenten und schloss sehr skeptisch, dass zwar von einer vollständigen Revolution in Form einer kompletten Abschaffung des Patentsystems abzuraten sei, doch das jetzige System durchaus reformbedürftig wäre, wie er in “An Economic Review of the Patent System” (1958) darlegte.
Angeregt durch seine Arbeit auf dem Gebiet der Patente entdeckte Machlup die Bedeutung von Wissen als Ressource, also Wissen in Form von Bildung, Forschung und Vergleichbarem (The Production and Distribution of Knowledge in the United States, 1962). Er versuchte, den Wissensbestand nicht als exogene, gegebene Variable zu verstehen, wie es die meisten Ökonomen seiner Zeit taten, sondern vielmehr die Produktion, Verwendung und Ausbreitung von Wissen zu verstehen und zu erklären. Im Zuge dessen wies er daraufhin, wie wichtig (schon damals) Wissen für die amerikanische Wirtschaft war. Die heutige Welt, insbesondere durch die große Bedeutung des Internets, wird oft als Informations- oder Wissensgesellschaft beschrieben – auf diesem Gebiet der Forschung leistete Machlup Pionierarbeit.
Methodologie
Machlup beschäftigte sich auch intensiv mit der Methodologie und Epistemologie. Machlups Interesse an diesem Feld kann zum interdisziplinären Austausch in verschiedenen Seminaren in seiner Zeit in Wien zurückgeführt werden. Dort traf er unter anderem auf den Philosophen Felix Kaufmann und den Soziologen Alfred Schütz, deren Ideen er nutzte, um eine ausgereiftere Version der Mises’schen Methodologie zu entwickeln, die nicht nur auf dem Stand der Wissenschaftstheorie seiner Zeit war, sondern auch in vielen Aspekten die späteren Beiträge einiger Wissenschaftstheoretiker vorwegnahm, zu nennen ist hier vor allem Imre Lakatos. Ein frühes Essay in diesem Bereich ist “Why Bother with Methodology?” (1936).
Machlup stellte sich vehement gegen “ultra-empiristische” Forderungen einiger, zum Beispiel Terence W. Hutchisons, in Theorien nur Annahmen zuzulassen, die zumindest durch Empirie verifizierbar sind. Er erklärte, dass Theorien aus Hypothesen unterschiedlicher Generalisierbarkeit/Anonymität bestehen; man könne aber nur ganze Theorien (bzw. ihre Vorhersagen) empirisch testen; vergleiche hierzu vor allem sein Essay “The Problem of Verification in Economics” (1955). Das aber bedeute, dass jene Hypothesen, die am „anonymsten“ sind, gar nicht durch empirische Evidenz gestützt und verifizierbar sein müssen; sie sind Postulate höchst anonymer Idealtypen. Die Idee von Idealtypen oder Hypothesen unterschiedlicher Anonymität/Generalisierbarkeit übernahm Machlup von Alfred Schütz, der in seinem Werk Der sinnhafte Aufbau der Welt dargelegt hatte, dass für das Verstehen von anderen Menschen und ihrem Verhalten mittels Idealtypen von den realen Akteuren abstrahiert werden muss; diese Anonymisierung kommt aber in verschiedenen Graden. Je freier von spezifischen Annahmen über das Individuum oder über andere Faktoren ein Idealtyp, desto anonymer ist er. Zweckrationalität beispielsweise, also dass der Mensch handelt im Sinne von einer Wahl zwischen verschiedenen Alternativen zur Erreichung bestimmter Ziele, ist dabei höchst anonym. In Bezug auf den Status seiner fundamentalen Postulate bezeichnete sich Machlup selbst als Konventionalisten (in Abgrenzung zu Mises’ Apriorismus sowie dem (Ultra-)Empirismus).
Laut Machlup zählt dann, wie Milton Friedman sagte, nicht die Realität einer Theorie (bzw. ihrer Annahmen), sondern nur die Qualität ihrer Vorhersagen, wobei ja nur eine ganze Theorie mit verschieden anonymen Hypothesen Vorhersagen generieren kann. Doch Machlup fügt ein weiteres höchst wichtiges und typisch ‘Österreichisches’ Kriterium des methodologischen Subjektivismus hinzu: die fundamentalen Postulate müssen “understandable” sein. Des Weiteren führt Machlup aus, dass es auch nicht möglich ist, sozialwissenschaftliche Theorien durch Empirie zu widerlegen (falsifizieren). Dies liegt nach Machlup an der besonderen Position der Sozialwissenschaften, in denen Experimente nicht durchgeführt werden können, es keine konstanten Variablen gibt sowie (die theorie-gebundenen) Fakten durch eine Vielzahl an Theorien erklärt werden können. Machlup spricht daher nicht von empirischer Evidenz, sondern nur von “illustration”. Als Kriterium für die Wahl zwischen Theorien nennt Machlup stattdessen das Gefühl von “ahaahh-ness”, welches einleuchtende Theorien auslösen sollen und was stark auf die Bedeutung der Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit einer Theorie rekurriert, also verbunden ist mit dem methodologischen Subjektivismus. Machlups methodologische Ausführungen unterscheiden sich von der Mainstream-Ökonomik und bieten mit ihrer wissenschaftstheoretischen Fundierung eine solide Grundlage für die Österreichische Schule.
Machlups Bedeutung
Fritz Machlup wird selten beachtet, wenn es um die Granden der Österreichischen Schule der Nationalökonomie im Speziellen und um jene der Ökonomie im Allgemeinen geht, doch mit seinem erstaunlich vielseitigen und umfassenden Werk hat er doch eine sehr bedeutende intellektuelle Leistung vollbracht, die nicht nur gewürdigt, sondern vor allem auch als ein fruchtbarer Quell für weitere Forschung erkannt werden sollte. Insbesondere seine Interpretation und Weiterentwicklung der Mises’schen Methodologie, welcher zuletzt mehr Aufmerksamkeit zuteilwurde, ist von eminenter Bedeutung für die ‘Austrians’, bietet sie doch die Grundlage einer fundierten Alternative zu Rothbards viel kritisiertem “Extreme Apriorism” und die Chance eines konstruktiven Diskurses mit anderen Schulen der Ökonomie wie der Neoklassik. Genauso können seine eher wenig beachteten Ideen in der Geldtheorie Inspiration für Forschung auf diesem Gebiet sein.
Weiterführende Literatur
Connell, Carol M., “Framing world monetary system reform: Fritz Machlup and the Bellagio Group conferences”. In: PSL Quarterly Review, vol. 64 n.257 (2011), 143-166.
Dreyer, J. S. (Hrsg.), Breadth and Depth in Economics, Fritz Machlup, The Man and his Ideas, Lexington, Mass.: Lexington Books, 1978.
Giersch, Herbert, “Machlup, Fritz” in: Neue Deutsche Biographie 15 (1987), S. 613-614 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118781065.html#ndbcontent.
Haberler, Gottfried, “Fritz Machlup: In Memoriam”. In: The Cato Journal 3, 1983, H. 1, S. 11-13.
Koppl, Roger und Richard N. Langlois, “Fritz Machlup and marginalism: a reevaluation”. In: Methodus 3 (2) (1991), S. 86-102.