Smith, Adam

Adam Smith Business School Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)

Von Karen Horn

Der Moralphilosoph Adam Smith hat der Nachwelt zwei Großwerke hinterlassen, die „Theory of Moral Sentiments“ (1759, TMS) und die „Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations“ (1776, WN). Das zweite Buch hat mit seiner Systematisierung des ökonomischen Denkens Smith den Ruf eingetragen, die akademische Disziplin der Ökonomik überhaupt erst ins Leben gerufen zu haben. Smiths überragende Bedeutung für den Liberalismus ergibt sich nicht nur aus dem Plädoyer für Freihandel, Wettbewerb und einen zurückhaltenden Staat, das in der Folge politisch zur Untermauerung des „Laissez-faire“ verwendet und in einer dem Autor nicht gerecht werdenden Überdehnung wirkmächtig wurde. Sie hängt auch mit seinem für die schottische Aufklärung generell typischen Ansatz zusammen, die gesellschaftliche Koordination analytisch als einen spontanen Prozess zu betrachten, dessen kollektiv relevante Ergebnisse von den Beteiligten zwar nicht bewusst angesteuert werden, aber dennoch als Nebenwirkungen ihres von individueller Rationalität gesteuerten Handelns zustande kommen. Hierfür verwendet er, wenngleich nur kursorisch, die Metapher der „unsichtbaren Hand“.

Biographie

Adam Smith war ein klassischer Wissenschaftler, Universalgelehrter, perfektionistisch, zerstreut, liebenswürdig und dennoch ewiger Junggeselle. Geboren 1723 im Fischerstädtchen Kirkcaldy an der schottischen Ostküste, kam er aus recht wohlsituiertem Hause. Die noch vor seiner Geburt verwitwete, ihm zeitlebens eng verbundene Mutter förderte seine Ausbildung kräftig. Im Alter von 14 Jahren schrieb sich Smith an der Universität Glasgow für das Studium der Moralphilosophie ein; Francis Hutcheson war sein tief bewunderter Lehrer. Ein Stipendium brachte ihn anschließend nach England, nach Oxford. Dort machte die Lektüre der antiken Autoren und insbesondere die Denker der Stoa großen Eindruck auf ihn. Nach sechs Jahren zurück in der Heimat, hielt er öffentliche Vorlesungen in Edinburgh. Er bekam 1751 eine Professur für Logik an seiner Alma Mater in Glasgow und wechselte ein Jahr später auf den nunmehr frei gewordenen, ehemals Hutchesonschen Lehrstuhl für Moralphilosophie. Aus seinen Vorlesungen destillierte Smith sein erstes Buch, die 1759 veröffentlichte TMS.

Das Buch fand reißenden Absatz; zu den begeisterten Lesern gehörte unter anderem Immanuel Kant. Nach seiner ersten großen Veröffentlichung war Smith ein gemachter Mann. Sein wissenschaftliches Renommee brachte ihm eine blendend dotierte Stellung als Tutor eines jungen Herzogs ein. Er gab dafür seine Professur auf und begleitete seinen Schüler nach Frankreich und in die Schweiz auf eine mehrjährige Bildungsreise, die ihm auch eigene, nunmehr ökonomische Studien ermöglichte. Nach der Rückkehr zog er sich zehn Jahre vor allem in sein Heimatstädtchen Kirkcaldy zurück, um seine Aufzeichnungen auszuwerten und ein umfassendes ökonomisches Werk zu verfassen – den berühmten WN. Dieses Buch, 1776 veröffentlicht, wurde ebenfalls ein großer intellektueller wie auch kommerzieller Erfolg.

Wie an der TMS nahm Smith auch am WN zeitlebens in mehreren Auflagen immer wieder Verfeinerungen und Verbesserungen vor, in denen er Anregungen und Kritik verarbeitete. TMS und WN sind die einzigen beiden Großwerke, die er der Nachwelt hinterlassen mochte. Kurz vor seinem Tod ließ Smith, der zuletzt als schottischer Zollkommissar gearbeitet hatte, fast alle sonstigen, ihm unvollkommen erscheinenden Manuskripte verbrennen – zum Leidwesen der forschenden Nachwelt. Adam Smith starb am 17. Juli 1790 in Edinburgh.

Das Smithsche Projekt

In der moralphilosophischen TMS lautet Smiths Hauptforschungsfrage: Wie fällt der Mensch seine moralischen Urteile, über sich und andere? Implizit läuft mit dieser „Mikro“-Frage zugleich die „Makro“-Frage mit: Wie entstehen dabei simultan – unbeabsichtigt – auch die allgemeinen gesellschaftlichen Normen? Im ökonomischen WN, in dem Smith neben der Arbeitsteilung klassische Themen wie Geld, Banken, Wert, Preise, Außenhandel, Bevölkerungsentwicklung, Bildung, Staatsaufgaben, Steuern und öffentliche Verschuldung behandelt, lassen sich die leitenden Forschungsfragen ganz ähnlich fassen: Wie wirtschaftet der einzelne Mensch? Und was sind die Mechanismen und Gesetzmäßigkeiten, nach denen dabei – und unter welchen institutionellen Voraussetzungen – im Zusammenwirken des einzelnen mit anderen Menschen zugleich der gesellschaftliche Wohlstand entsteht?

In beiden Werken verfolgt Smith mithin dieselbe Forschungsstrategie. Zur Beantwortung seiner Fragen greift er auf „empirische“, häufig historische Beobachtungen zurück und legt sein darauf aufbauendes theoretisches System so an, dass er zur Erklärung mit zwei rudimentären Modellprämissen bezüglich der Natur des Menschen als handelndem Subjekt auskommt: erstens der Eigenliebe (self-love), also der „self-regardedness“, die wesentlich der Selbsterhaltung dient und insofern eine Vorbedingung der Klugheit ist, und zweitens der angeborenen kommunikativen Ader, der „other-regardedness“, der Bezogenheit auf andere Menschen, die den einzelnen dazu treibt, andere von etwas überzeugen zu wollen. Die self-love gilt es zuzulassen, aber gegebenenfalls auch zu dämpfen, damit sie nicht zum Egoismus verkommt. Was den Menschen befähigt, seine Hinwendung zum Nächsten zu verfolgen, ist seine angeborene Fähigkeit zum Mitfühlen. Auf ihr gründen die moralischen Urteile.

Auf der Basis dieser Prämissen beschreibt Smith in der TMS, wie das individuelle moralische Urteil in mehreren Rückkopplungsprozessen entsteht, sich verfeinert und anpasst – im Rahmen einer fortlaufenden Interaktion mit anderen Menschen, den externen Beobachtern, wie auch mit dem eigenen Gewissen, das er als inneren Beobachter, als „Impartial spectator“ modelliert. Und als immer nur vorläufiges Ergebnis dieser Interaktion werden zugleich auch, ohne dass dies jemand bewusst plant oder auch nur beabsichtigt, soziale Normen abgestimmt. Es ist dies ein Prozess von simultaner Koordination und Genese, bei dem sich oftmals eine List der Natur günstig auswirkt – aber eine Garantie dafür gibt es nicht. Die Werte, die sich somit etablieren, sind also relativer Natur; sie sind Ergebnis eines Aushandlungsprozesses.

Im WN übersetzt sich die „self-regardedness“ als Wunsch des Menschen, sein Los zu bessern, und die „other-regardedness“ als Neigung zum Tauschen und Handeln. Beide Kräfte wirken zusammen, um im marktlichen Austausch der Menschen zur Arbeitsteilung durch Spezialisierung zu führen und infolge dieser zur Erhöhung der Produktivität, wodurch, noch erweitert durch den Außenhandel, ein Prozess der kumulativen Mehrung des Wohlstands entsteht. Voraussetzung ist, dass der Wettbewerb erhalten bleibt, dass die Regierung die Rahmenbedingungen anreizkompatibel gestaltet und dass sie die notwendigen institutionellen Vorkehrungen trifft. Eine wesentliche Rolle spielt dabei ein funktionierendes Rechtswesen.

Die für den Liberalismus überragend bedeutsame ökonomische Erkenntnis Smiths besteht vor allem hierin: Der Wohlstand beruht nicht etwa auf der gegebenen Ausstattung eines Landes mit Produktionsfaktoren und auch nicht auf seinem Anhäufen von Gold und Silber infolge merkantilistischer Bestrebungen, sondern vielmehr auf der Fähigkeit, einen dynamischen, selbsttragenden Prozess wettbewerblicher Arbeitsteilung in Gang zu setzen und zu halten. Ein solcher Prozess kommt am ehesten dann zustande, wenn die Regierung die natürliche Freiheit der Menschen, auf ökonomische Anreize zu reagieren, möglichst wenig einschränkt. Güter, Dienstleistungen, Kapital und auch Arbeitskräfte müssen frei wandern können; private Machtzusammenballungen sollen durch unkluge Regulierungen nicht noch gefördert werden; Steuern sollten möglichst wenig verzerrend sein und die Leistungsfähigkeit berücksichtigen.

Bei alledem macht sich Smith keine Illusionen, dass Menschen immer gemeinwohlverträglich handeln. Deshalb ist sein ultimatives Kriterium dafür, ob die ökonomischen Anreize in einer Volkswirtschaft die richtigen sind oder einer politischen Korrektur bedürfen, nichts anderes als genau dies: ob sie die produktivitätssteigernde, wirtschaftliches Wachstum ermöglichende Arbeitsteilung fördern oder hemmen. Denn Arbeitsteilung und Wachstum sind unabdingbar, um das Los der großen Masse der Bevölkerung und vor allem der Armen zu bessern.

 

Literatur

Smith, Adam (1756/1976/1982), The Theory of Moral Sentiments (TMS), Nachdruck der Ausgabe von Oxford University Press, Indianapolis, Liberty Fund.

Smith, Adam (1776/1976/1991), An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (WN), hg. von R.H. Campbell und A.S. Skinner, 2 Bde., Nachdruck der Ausgabe von Oxford University Press, Indianapolis, Liberty Fund.

Conlin, Jonathan (2016), Adam Smith, Critical Lives, London, Reaktion Books.

Kurz, Heinz D. und  Richard Sturn (2013), Adam Smith für jedermann: Pionier der modernen Ökonomie, Frankfurt, FAZ Buch.

Karen Horn

Prof. Dr. Karen Horn lehrt als Dozentin für ökonomische Ideengeschichte an verschiedenen Universitäten, darunter die Humboldt-Universität zu Berlin, die Universität Witten/Herdecke, die Universität Erfurt und die Universität Siegen. Außerdem ist sie als freie Publizistin tätig und Vorsitzende von NOUS - Netzwerk für Ordnungsökonomik und Sozialphilosophie.